Morgens halb zehn in al-Khadr

EAs und Schüler der Secondary Boys School in al-Khadr, Bethlehem
EAs und Schüler der Secondary Boys School in al-Khadr, Bethlehem

Zugegeben, auch mir fällt es manchmal schwer, diesem Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu widersprechen, denn was weiß ich schon vom tatsächlichen Gefühl der Ohnmacht angesichts der seit Jahrzehnten andauernden Strapazen und Enttäuschungen im Heiligen Land. Doch höre ich auch andere Stimmen, für die das Wort „inshallah“ („so Gott will“) eine andere, eine lebenswertere Zukunft in Aussicht stellt…

Nach einem knappen Monat knüpfe ich nun an meinen ersten Blogeintrag an. Die Welt dreht sich weiter, für mein Empfinden manchmal etwas zu schnell. Denn nicht nur hier in Bethlehem haben sich in den letzten Tagen und Wochen die Ereignisse überschlagen. Daher möchte ich dich an dieser Stelle, liebe/r Leser/in, dazu auffordern für einen Augenblick innezuhalten und Liebe an all diejenigen zu senden, welche in den letzten Tagen weltweit dem grauenvollen Hass einiger Irregeführter zum Opfer fielen! Es bestürzt mich zutiefst zu sehen, zu hören und zu spüren, wie viel Gewalt und Unverständnis füreinander noch immer in unserer Welt herrschen – aus unserer Geschichte scheinen wir Menschen wohl nicht allzu viel gelernt zu haben.

Umso mehr fühle ich mich bestärkt, für den Dialog und das Miteinander einzustehen, auch wenn wir EAs jeden Tag Einblick in eine Vielzahl von Geschichten von Menschen erhalten, die aus verschiedensten Gründen die Hoffnung auf ein Miteinander nicht mehr aufrecht erhalten (können). Zugegeben, auch mir fällt es manchmal schwer, diesem Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu widersprechen, denn was weiß ich schon vom tatsächlichen Gefühl der Ohnmacht angesichts der seit Jahrzehnten andauernden Strapazen und Enttäuschungen im Heiligen Land. Doch höre ich auch andere Stimmen, für die das Wort „inshallah“ („so Gott will“) eine andere, eine lebenswertere Zukunft in Aussicht stellt. Sie sind noch nicht in starren Gedankenmustern gefangen und offen für Alternativen und Wandel.

So auch in al-Khadr, westlich von Bethlehem. Der kleine Ort ist nach dem Heiligen Georg benannt, zu dessen Gedenken hier ein orthodoxes Kloster steht. Die wundervolle Landschaft in dieser Region lässt mich manchmal fast vergessen, dass die omnipräsente „Mauer“ zahlreichen Einwohnern und Bauern Land und Olivenhaine geraubt hat. Nach al-Khadr kommt unser EA-Team mindestens einmal pro Woche. Wir begleiten Schüler*innen auf ihrem Schulweg im Rahmen des „Access to Education“ Projekts, in Kooperation mit UNICEF. Häufig kommt es hier zu Übergriffen durch die israelische Armee, so dass unsere Präsenz den Schüler*innen den Zugang zu ihren Schulen ermöglichen und so friedlich wie möglich gestalten soll. Bei einem unserer Gespräche mit dem Rektor der Secondary Boys School in al-Khadr fragt er: „Worin liegt also der Schlüssel und wie erreicht man die junge Generation?“ Meine Antwort war klar: „Bildung! Bildung schafft Perspektiven und lässt den Kids keine Zeit, um auf die Straße zu gehen, stattdessen sollen sie Bücher wälzen.“ Darin waren wir uns also einig! Doch was sagen eigentlich die „Jungs“ selbst dazu?

Mathelehrer Mohammed in seinem Klassenraum
Mathelehrer Mohammed in seinem Klassenraum

Mittwoch 18. November, morgens halb zehn in al-Khadr, der Mathematikunterricht endet gerade als uns Mohammad, der Mathelehrer, in die Klasse bittet, um wie verabredet zusammen mit den Schülern der zehnten Klasse zu frühstücken. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass auch für mich solche Tage in der Schule doch immer ein kleines Spektakel waren. Aus verschiedenen Ecken des Klassenzimmers hallt es: „Sabah al-Kheir, whats your name?“, „Ahlan wa Sahlan!“. Die „Jungs“ der al-Khadr Secondary Boys School geben uns das Gefühl dankbar zu sein, dankbar dafür, dass sich jemand für sie und ihre Geschichten interessiert.

EAs im Gespräch mit den Schülern der Secondary Boys School al-Khadr
EAs im Gespräch mit den Schülern der Secondary Boys School al-Khadr

Ich beginne zu verstehen, dass es für viele der Kinder und Jugendlichen schwer ist Kind zu sein, sich frei und unbeschwert zu fühlen, zumindest spricht ihr Verhalten diese Sprache. Wir EAs sind erstaunt über die Offenheit der Schüler, wir sprechen über Gefühle, Hoffnungen und Wünsche. Einer der EAs wirft die Frage in den Raum: „Was möchtet ihr später mal werden?“. Es geht reihum, „Arzt, Fußballer, Anwalt, Koch…“. Und ich sage mir, diese Szene würde sich wohl überall auf der Welt mehr oder weniger ähnlich abspielen. Keinem wird Gewalt und Hass in die Wiege gelegt, es ist das Umfeld, das uns formt.

Abgesehen vom offenbar nicht endenden Gesprächsstoff sollte das gemeinsame Essen eine entscheidende Rolle an jenem Morgen spielen. So brachte jeder der Schüler also etwas von Zuhause mit. Es gab selbstgebackenes Brot, frischgepresstes Olivenöl und Oliven aus der Region, Falafel und selbstverständlich Hummus.

Die Schüler bei der Vorbereitung unsseres gemeinsamen Frühstücks
Die Schüler bei der Vorbereitung unsseres gemeinsamen Frühstücks

Wir aßen und tranken zusammen und wurden wieder einmal Zeuge der palästinensischen Gastfreundschaft. In diesem Moment wünschte ich mir, dass vielleicht eines Tages israelische Kinder gemeinsam mit palästinensischen Kindern dieses Gefühl des Miteinanders erleben dürfen, um sich über Fußball und anderen „Jungskram“ austauschen zu können. Ich hoffe inständig, dass dies keine Utopie bleibt, dass wir und vor allem diese junge Generation einen gerechten Frieden in Palästina und Israel erleben dürfen.

Denis, November 2015

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