Mit Schafen und Ziegen unterwegs

Burhan mit Esel und Hütehund, auf dem Hügel im Hintergrund die Siedlung Chemdat; Foto © EAPPI
Burhan mit Esel und Hütehund, auf dem Hügel im Hintergrund die Siedlung Chemdat; Foto © EAPPI

Während unseres Aufenthaltes im Rahmen des EAPPI – Programms können wir auch Teams in anderen Placements besuchen. So habe ich Mitte Oktober das Team in Jericho besucht. Inzwischen kenne ich mich ein bisschen aus: wo kommt mein Minibus von Tulkarem in Ramallah an und wo fährt der Minibus nach Jericho ab. Die Verständigung funktioniert mit ein paar arabischen Wörtern und Körpersprache.

Kontrolle über das Jordantal; Quelle: https://www.bbc.com/news/world-middle-east-24802623
Kontrolle über das Jordantal; Quelle: https://www.bbc.com/news/world-middle-east-24802623

Die Stadt Jericho liegt im Jordantal. Diese fruchtbare Region, einschließlich der Gegend um das nördliche Tote Meer, nimmt etwa 30 % der Gesamtfläche der West Bank ein. Etwa 65.000 Palästinenser*innen[1] leben hier, viele von ihnen in Jericho, andere in den zahlreichen, über die weite Gegend verstreuten Dörfern, Hirten- und Beduinengemeinden. Fast 90% des Jordantals sind C-Gebiet und stehen damit unter vollständiger israelischer Kontrolle. In den C-Gebieten des Jordantals leben etwa 11.000 Siedler*innen. Die (nach internationalem Recht illegalen) Siedlungen und ihre landwirtschaftlichen Flächen machen etwa 15% der Gesamtfläche des Jordantals aus. Dennoch stehen insgesamt etwa 86% des gesamten Jordantals unter Siedlungsverwaltung. Über 50% des Jordantals wurden als militärisches Sperrgebiet markiert, knapp 30% als Naturschutzgebiet. Palästinenser*innen bleibt der Zugang zu bzw. die Nutzung dieser Gebiete größtenteils verwehrt, während die Siedlungen große landwirtschaftliche Flächen bewirtschaften.

Aufstieg mit der Herde; Foto © EAPPI
Aufstieg mit der Herde; Foto © EAPPI

Am Morgen sind wir unterwegs zu einer Beduinenfamilie im Jordantal. Auf der Hauptstraße 90 fahren wir nach Norden. Rechts und links liegen große israelische Plantagen mit Dattelpalmen  und Gewächshäusern. Burhan wohnt in Mak-hul, bei unserer Ankunft erwartet er uns bereits. Er lebt im Moment alleine mit seinem Vater auf der Farm. Seine Frau und die beiden Kinder sind bei den Schwiegereltern in der Stadt. Wiederkehrende Hauszerstörungen seitens der israelischen Behörden haben dazu geführt, dass seit 2013 mehrere Familien aus Mak-hul weggezogen sind[2].

Wir trinken zunächst Tee, dann trifft auch noch ein weiterer Besucher ein: John aus Israel, aus der Gegend von Haifa. Er ist bereits in Rente und engagiert sich für die Palästinenser im Jordantal. Jeden Freitag kommt er, um Burhan auf seinem Weidegang mit der Schaf- und Ziegenherde zu begleiten.

Die Grenze zum Naturreservat, „Stoppschild“ der Israel Nature and Parks Authority; Foto © EAPPI
Die Grenze zum Naturreservat, „Stoppschild“ der Israel Nature and Parks Authority; Foto © EAPPI

Gegen 10 Uhr ziehen wir mit den Tieren los. Den Hang hinauf. Ich sehe kaum etwas wachsen, aber die Tiere fressen dennoch fleißig. Ich muss mich auf die herumliegenden Felsbrocken konzentrieren, um nicht abzurutschen. Oben angekommen zeigt uns Burhan einen Pfosten, der erst kürzlich auf der Bergspitze eingerammt wurde. Darauf steht, dass dieses Gebiet nun als israelisches Naturschutzgebiet markiert ist. Für Burhan bedeutet es, dass das Militär ihm jederzeit verbieten kann, seine Tiere hier weiden zu lassen.

Karte © UNOCHA: Die palästinensische Gemeinde Mak-hul ist von mehreren Militärstützpunkten (grau), den Siedlungen Ro’i und Chemdat sowie von militärischem Sperrgebiet (graue Punkte) und israelischen Naturreservaten (rot gestreift) umgeben.
Karte © UNOCHA: Die palästinensische Gemeinde Mak-hul ist von mehreren Militärstützpunkten (grau), den Siedlungen Ro’i und Chemdat sowie von militärischem Sperrgebiet (graue Punkte) und israelischen Naturreservaten (rot gestreift) umgeben.

Am Fuß dieses Berges liegt eine Militärbasis. Dort trainieren die Soldaten, es gibt eine gut sichtbare Schiessanlage. Mak-hul ist von militärischem Sperrgebiet und Siedlungen umgeben. Wir sehen von weitem, dass die Bauern aus einer der Siedlungen ihre Kuhherde grasen lassen. Die Kühe rennen einmal den Hang hinunter, um die Miltärbasis herum und wieder zurück in ihren Stall in der Siedlung. Burhan legt eine Pause ein, zu einer Konfrontation mit den Siedlern soll es nicht kommen. Nachdem die Kühe fertig sind gehen wir weiter über den nächsten Hügel. Es ist inzwischen 12 Uhr und sehr heiß. Zum Glück nähern wir uns unserem Ziel: eine Wasserstelle. Sie ist dadurch entstanden, dass die dort verlegten Wasserrohre undicht sind.

Esel und Ziegen trinken an der Wasserstelle; Foto © EAPPI
Esel und Ziegen trinken an der Wasserstelle; Foto © EAPPI

Burhan selbst hat keinen Zugang zu Wasser, wie so viele Menschen in den kleinen palästinensischen Gemeinden im Jordantal. Er muss das Wasser im Tank teuer kaufen und zu seiner Farm bringen. Baugenehmigungen, u.a. für Wasserleitungen, werden von den israelischen Behörden für Palästinenser in den C-Gebieten so gut wie nie ausgestellt. Der Wasserverbrauch kann so in den palästinensischen Gemeinden im Jordantal bis auf 20 Liter pro Kopf und Tag fallen[3]. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt mindestens 100 Liter. Nach Angaben der israelischen NGO Peace Now liegt der Wasserverbrauch in den israelischen Siedlungen des Jordantals, von denen auch drei nahe bei Mak-hul liegen, durchschnittlich bei 487 Litern pro Kopf und Tag.

Lämmer in der Tragetasche; Foto © EAPPI
Lämmer in der Tragetasche; Foto © EAPPI

An der Wasserstelle treffen wir eine weitere Herde, die von vier Unterstützern aus Israel begleitet wird. Von ihnen erfahre ich, dass unterwegs Lämmer geboren worden sind und entdecke sie in der Tragetasche, die über dem Rücken des Esels hängt. Das neue Leben in dieser von Beschwerlichkeiten geprägten Gegend macht Mut und gibt Hoffnung, dass die Menschen noch weiter durchhalten können.

Erika, im Oktober 2018

 

Ich nehme für das Berliner Missionswerk (BMW) am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des BMW oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] Informationen in diesem Abschnitt aus https://www.btselem.org/jordan_valley, http://peacenow.org.il/wp-content/uploads/2017/04/JordanValleyEng.pdf, https://www.ochaopt.org/content/humanitarian-fact-sheet-jordan-valley-and-dead-sea-area-february-2012

[2] https://www.ochaopt.org/content/four-herding-communities-northern-jordan-valley-imminent-risk-forcible-transfer

[3] http://peacenow.org.il/wp-content/uploads/2017/04/JordanValleyEng.pdf

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