Mit Marschtrommeln gegen Militarismus

Seit 30 Jahren finden die Mahnwachen der „Women in Black“ in Jerusalem statt; © EAPPI
Seit 30 Jahren finden die Mahnwachen der „Women in Black“ in Jerusalem statt; © EAPPI

Jerusalem: für 3 Tage besuche ich die Kollegen und Kolleginnen an diesem Standort. Ich freue mich auf die Abwechslung des städtischen Umfelds und werde nicht enttäuscht. Unter anderem besuchen wir an diesem Freitag die Mahnwache von „Women in Black“, der Frauen in Schwarz. Jeden Freitag treffen sie sich in Westjerusalem  an einer belebten Kreuzung.

Ich informiere mich vorab: Die Frauen in Schwarz verstehen sich als weltweites Netzwerk von Frauen. Für einen Frieden in Gerechtigkeit, aktiv gegen Ungerechtigkeit, Krieg, Militarismus und andere Formen der Gewalt. Ein Schwerpunkt liegt darin, sich gegen militaristische Politik der jeweils eigenen Regierung zu stellen. Sie sind und wollen keine Organisation sein, sondern gleichermaßen Kommunikationsmittel und Aktionsform.[1] Diese Beschreibung macht mich neugierig.

Die Mahnwachen in Westjerusalem finden seit 1988 statt, ins Leben gerufen als Reaktion auf den Beginn der ersten palästinensischen Intifada. Zu Hochzeiten der Anti-Besatzungs-Bewegung gab es Mahnwachen an 30 verschiedenen Orten in Israel, heute sind es noch 4.[2] Die Mahnwachen, so sagen mir die Kolleginnen, finden in Stille statt. Wir sind dort präsent, um Solidarität auszudrücken.

Trommlerinnen bei der Mahnwache der Frauen in Schwarz; © EAPPI
Trommlerinnen bei der Mahnwache der Frauen in Schwarz; © EAPPI

Diese Woche ist es dann aber doch ein wenig anders. An der Kreuzung sehen wir die aktiven Frauen und Männer mit einer Vielzahl schwarzer Schilder. Manche sind auf Englisch beschriftet mit der einfachen Botschaft, die Besatzung zu beenden. Wir hören ein rhythmisches Trommelspiel zweier junger Frauen. Die machen Tempo auf den Marschtrommeln und geben der Mahnwache einen sehr lebendigen und auch eindringlichen Zug.

Die Gegendemonstration; © EAPPI
Die Gegendemonstration; © EAPPI

Zur Gegendemonstration haben sich zwei Teilnehmerinnen eingefunden, die ihrerseits einiges an Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wer tanzt schon in israelische Flaggen gehüllt bei jeder roten Ampelphase mitten auf der Straße? Die Tänzerin nimmt den Rhythmus der Trommeln auf, beides verschmilzt. Vielleicht, so denke ich bei diesem Anblick, lassen sich doch manchmal Dinge vereinen, die gegensätzlicher nicht erscheinen könnten. „Das Land Israel gehört dem jüdischen Volk“, so die Botschaft der Gegendemonstration. Autofahrer kommentieren das Geschehen auf ihre Weise: Die Tänzerin erntet schon mal ein entnervtes Hupen, wenn sie die Straße nicht früh genug frei gibt. Die Frauen in Schwarz werden mit Gesten bedacht, von denen der Daumen nach unten die höflichere Variante ist.

Ein Passant redet auf die Trommlerinnen und Teilnehmende der Mahnwache ein; © EAPPI
Ein Passant redet auf die Trommlerinnen und Teilnehmende der Mahnwache ein; © EAPPI

Dann nähert sich ein Mann den Trommlerinnen. In einem lauten und aggressiv wirkenden Tonfall redet er auf sie ein und bedrängt sie. Andere werden darauf aufmerksam, jemand filmt mit und einige bewegen sich schützend zwischen ihn und die Trommlerinnen. Langsam und zielgerichtet, Zentimeter für Zentimeter, schirmen sie die jungen Frauen ab. Es gibt ein paar kurze Versuche des Austauschs.

Schließlich kann der Mann seine ununterbrochene Rede nur noch an eine der schwarzen Plakathände richten. Das alles geschieht sehr flüssig und wirkt defensiv. Ich sehe, dass die Gruppe sich ohne Worte verständigt hat und einer gewaltfreien Aktionsform folgt, in der sie Routine erlangt haben. „Kein Wunder“, sagt mir eine der Teilnehmerinnen später, „wir machen das seit 30 Jahren.“

Dass es gar nicht so einfach ist, auf einen aggressiven Tonfall mit Gelassenheit zu reagieren, erfahre ich schon wenig später selbst. Schon im Aufbruch steht der gleiche Mann plötzlich schräg hinter mir und klagt uns lautstark an: Wir Christen verfolgten sie seit 2000 Jahren, ob das denn noch nicht genug sei, ob wir nicht sehen könnten, was der Holocaust seiner Familie angetan hat und dass wir doch nach Ramallah gehen sollten. Da würden wir dann sehen, wie es uns unter Muslimen ergeht. Ich atme einmal tief durch, die Fußgängerampel springt auf grün und wir gehen los. Die Stimme bleibt mir noch eine Weile im Ohr, gänzlich entziehen kann man sich so einer starken Präsenz nicht. In diesem Fall bin ich froh, dass er nicht weiß, wo ich herkomme.

Die Frauen in Schwarz in Jerusalem; © EAPPI
Die Frauen in Schwarz in Jerusalem; © EAPPI

Später am Nachmittag treffe ich eine der Frauen in Schwarz zufällig wieder. Wir wechseln ein paar Worte und stellen fest, dass wir in der gleichen Stadt geboren sind. Sie hat nur die ersten sieben Monate ihres Lebens dort verbracht. Auch ihre Familie war Opfer des Holocausts, so erzählt sie mir in freundlichem Ton, beiläufig fast, kein Unterton schwingt mit. Und dann drückt sie mir noch einen kopierten Zettel in die Hand: zwei, drei Zeilen zu den Frauen in Schwarz und eine E-Mail Adresse. Ich solle ihn einstecken und wenn ich den Zettel irgendwann zuhause beim Auspacken oder auch viel später wiederfinde, eine Mail schicken. Eine kurze Ermutigung für ihre Arbeit in Israel, sie freuen sich über jede Zeile. Ich freue mich über die Begegnung.

Britta, Juni 2018

[1] http://womeninblack.org/about-women-in-black/

[2] http://womeninblack.org/vigils-arround-the-world/middle-east/israel/

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