„Meine Heimat ist kein Koffer…“

An einer Wand im Jerusalemer Stadtteil „Silwan“ habe ich diesen Satz gelesen, auf Englisch: „My homeland is not a suitcase and I am not a traveller“ stand dort geschrieben, wo aufgrund von Ausgrabungen auf dem Gebiet des ersten, des kanaanitischen Jerusalems viele palästinensische Häuser abgerissen werden sollen.

Graffiti in Silwan
Graffiti in Silwan

Aus dem Koffer können und wollen auch die Beduinen nicht leben, die nach 1948 von dem neu gegründeten Staat Israel aus dem Negev vertrieben wurden oder flohen, und im Osten von Jerusalem neue Weideplätze fanden. Inzwischen sind aber israelische Siedler in diese Gegend gekommen, haben die Bergspitzen besiedelt und sie zu ganzen Städten ausgebaut – illegal, weil ohne völkerrechtliche Grundlage auf palästinensischem Gebiet. Ost-Jerusalem wurde 1980 von Israel annektiert, die Annexion blieb ohne internationale Anerkennung. Nun beansprucht die israelische Führung ein weiteres großes Gebiet mitten in der Westbank, zwischen Jerusalem und Jericho, ebenfalls für das eigene Land. Noch mehr Siedlungen sollen gebaut werden – die Planungen laufen unter dem Kürzel „E1“. Darum sollen die Beduinen noch einmal umgesiedelt werden, wogegen sie sich heftig wehren.

Wir haben jetzt schon zwei Dörfer der Beduinen vom Stamm der Jahalin besucht. Über gut ausgebaute Straßen, die zu den Siedlungen führen, kommen wir mit dem Taxi in die kahle und karge Bergregion in das eine, Khan al Ahmar genannt – die Straße müssen wir verlassen, indem wir über die Leitplanken klettern, dann stehen wir vor dem Dorf. Es besteht aus Hütten, die aus Wellblech und Plastikplanen gebaut sind. Als wir in eine der Hütten eingeladen werden sehen wir auch ihre Konstruktion aus Holzbalken. Der Winter ist hier in 800 m Höhe recht kalt – Abu Khamis, der Leiter der Gemeinschaft, der uns empfängt und Tee anbietet, erzählt, dass er mit Holz heizt.

Aber wichtiger ist ihm, dass er hier überhaupt ein Zuhause haben kann – das ist nicht sicher, weil die Hütten nicht genehmigt sind. Es werden in dieser Gegend auch keine Genehmigungen durch die israelischen Behörden erteilt – und die palästinensische Verwaltung ist in diesem, nach den Oslo- Verträgen als „C-Gebiet“  ausgewiesenen Bereich, nicht zuständig. Deshalb nimmt sich die israelische Seite das Recht, Bulldozer zu schicken und Hütten wie Häuser abzureißen.

Die Beduinen leben also in ständiger Angst vor den Bulldozern. Sie haben in Khan al Ahmar eine Schule gebaut, mit Autoreifen und Erde als Baumaterial – die Idee dazu kam aus Südamerika, erzählt Abu Khamis – in seiner prekären Situation hat er internationale Unterstützung erleben können. Hier werden über 150 Schülerinnen und Schüler aus fünf Beduinendörfern betreut. Aber auch sie hat eine „Demolition-Order“, eine Zerstörungsaufforderung. Insbesondere in den langen Sommerferien – von Juni bis September, wenn die Schule nicht genutzt wird, sei sie bedroht. Deshalb hat er versucht, Summer-school- Projekte, bei uns würde man vielleicht „Ferienspiele“ dazu sagen, anzuregen. Die UN – Organisation für humanitäre Angelegenheiten (UN OCHA) hat zwei Wochen übernommen, und die Al-Quds- Universität will vom 15. bis 25. Juli einige Studenten schicken.

Abu Khamis, der Dorfvorsteher von Khan al Ahmar
Abu Khamis, der Dorfvorsteher von Khan al Ahmar

Abu Khamis erzählt, dass ihnen Wohncontainer angeboten worden wären – als Geschenk, um die alten Hütten verlassen zu können. Sein Dorf habe das abgelehnt. Das Nachbardorf sei darauf eingegangen, was sie jetzt sehr bedauerten: Denn auch die Wohncontainer waren trotz EU-Finanzierung nicht genehmigungsfähig und wurden von den israelischen Behörden zerstört. Das Wiederaufbauen der alten Hütten war dann aber auch nicht mehr möglich – sie wurden als illegale Neubauten sofort zerstört. Die Menschen dort wären jetzt obdachlos, müssten in selbstgebauten Zelten ausharren.

Abu Khamis erzählt auch, dass immer wieder Siedler aus den Siedlungen herabkommen, um Angst zu verbreiten. Neulich seien sie nachts mit Autos in das Dorf gefahren, hätten dort eine Stunde gewartet, aber als alle in ihren Hütten blieben, seien sie wieder gefahren. Früher seien sie vor allem an Samstagen, ihrem freien Tag, gekommen – seit die Teams von EAPPI regelmäßig an den Samstagen zu Besuch gekommen wären, hätte das aufgehört. Er bittet uns, doch diese schützende Präsenz aufrecht zu erhalten.

Ermutigender ist der Besuch bei den Jabal al Baba- Beduinen. Wir fahren spätabends dorthin, weil sie über Tag wegen des Ramadanfastens keinen Besuch empfangen wollen. Hier sitzen wir in einem garagenähnlichen Gebäude aus Beton. Die kleine Gemeinschaft besteht aus gut 300 Menschen in 55 Häusern. Der jordanische König hatte 1964 dem damaligen Papst Paul VI. bei einem Besuch ein Stück Land auf diesem Hügel als Willkommensgeschenkt übertragen. Deshalb heißt der Berg auch „Dschebel al Baba“, Hügel des Papstes. Der Dorfälteste plant auf einer Europareise auch einen Besuch beim Papst. Das aber hindert die israelischen Behörden nicht, Hauszerstörungen anzudrohen und umzusetzen. Die Beduinen bauen die Häuser jedoch wieder auf, immer wieder.

In ihrem Widerstand sind sie kreativ, aber gewaltfrei: So haben sie z.B. viele tausende von Steinen ihres Berges zusammengesucht und zu einem riesigen Schriftzug gelegt: „Wir bleiben hier“ – Der war für die auf dem gegenüberliegenden Berg liegende israelische Siedlung gut zu lesen. Deshalb kamen Soldaten – es mussten 200 sein, um die vielen Steine wieder auseinander zu ziehen.  Die Beduinen haben die Steine noch einmal zusammengelegt, und einen zweiten (friedlichen) Militäreinsatz provoziert, dann hatten sie zunächst einmal genug öffentliche Wirkung erreicht.

Jüngst haben sie mit der Unterstützung der amerikanischen Internetkampagnenorganisation „Avaaz“ eine Unterschriftenaktion[1] gestartet. Fast 900.000 Unterstützer aus der ganzen Welt haben gegen ihre Vertreibung unterzeichnet – jetzt haben sie die Namen nach Ländern geordnet und wollen die jeweiligen Nationalfarben an die Häuser kleben, und die Flaggen darauf hissen. Ein internationales Beduinendorf, das sich so gegen die Hauszerstörung wehrt. Ich freue mich schon auf die Fotos, die ich hoffentlich machen kann.

Es ist schwer, sich vorzustellen, mit der Angst vor der Hauszerstörung leben zu müssen. Aber die Beduinen haben schon viel erlitten – ihre Weidegebiete wurden durch die Siedlungen, ihre Straßen und durch neue Grenzen immer weiter eingeschränkt. Das Dorf auf dem Papstberg ist von der Trennmauer fast rundherum eingekreist – nur am Dorfeingang wurde sie noch nicht fertig gestellt. Wenn das geschieht, können die Kinder nicht mehr in die Schule in der nahen Stadt Al- Eizariya gehen. Auch das ist eine ständige Bedrohung, mit der die Beduinen schon länger leben. Sie geben nicht auf, weil sie ihre Heimat eben nicht in einen Koffer packen können.

Berthold, Juni 2017

[1] https://secure.avaaz.org/en/stop_the_bulldozers_loc/

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