Keine leichte Ernte

Frisch geerntete Oliven in Yanoun; © EAPPI
Frisch geerntete Oliven in Yanoun; © EAPPI

Die letzten Wochen waren an vielen Orten in unserer Umgebung von der Olivenernte geprägt. Schon in meinen ersten Tagen hier sind mir bei unseren Fahrten in der Gegend die zahlreichen Olivenbäume aufgefallen, die für viele palästinensische Familien eine besondere Bedeutung haben und eine wichtige Einkommensquelle darstellen. Laut einem aktuellen Bericht von UNOCHA-OPT[1] werden etwa 10 Millionen Olivenbäume in Palästina bewirtschaftet. Leider ist die Zeit der Olivenernte auch eine Zeit, in der die Auswirkungen der Besatzung besonders sichtbar werden, zum Beispiel in Form von Zugangsbeschränkungen oder gewaltsamen Übergriffen. Auch in diesem Jahr ist die Ernte für die Menschen hier nicht immer leicht.

Bei einem Besuch der Palestinian Agricultural Development Association PARC erfahren wir, dass die Ernte dieses Jahr leider besonders schlecht ausfällt. Dies liegt u.a. am fehlenden Regen und Schädlingen, die sich dieses Jahr auf vielen Olivenbäumen ausgebreitet haben. Aber gleichzeitig ist in manchen Teilen Palästinas die schlechte Ernte auch eine Auswirkung der Besatzungssituation.

EA bei der Olivenernte in Turmus‘ayya; © EAPPI
EA bei der Olivenernte in Turmus‘ayya; © EAPPI

Palästinensische Landwirte, deren Olivenhaine sich in oder in der Nähe von Siedlungen befinden, haben nur sehr eingeschränkten Zugang zu ihren Bäumen und ihrem Land. Um die (nach internationalem Recht illegalen) Siedlungen herum werden häufig sogenannte Special Security Areas eingerichtet, die von den Palästinenser*innen, denen das Land gehört, nur zweimal im Jahr für wenige Tage und nur nach Koordinierung mit der israelischen Armee betreten werden dürfen. So können die Menschen ihre Bäume nicht ausreichend pflegen, was mit dazu führt, dass die Ernten schlechter ausfallen. Die Tage, an denen die Menschen Zugang zum Land bekommen, werden außerdem von der israelischen Armee vorgegeben und richten sich nicht danach, ob die Oliven schon zur Ernte reif sind[2]. Eine ähnliche Situation trifft jene Landwirte, deren Olivenhaine in der sogenannten Seam Zone zwischen der Trennbarriere und der international anerkannten Grenze („Grüne Linie“) zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten liegen. Über spezielle Tore und nur nach vorheriger Koordination mit der Armee und Erhalt eines Passierscheins dürfen diese Landwirte ihre Olivenhaine lediglich zur Erntezeit aufsuchen. Etwa die Hälfte der Anträge auf Passierscheine wurde in den vergangenen Jahren abgelehnt[3]. Da der Zugang für das restliche Jahr versperrt und somit die Pflege der Olivenbäume nicht möglich ist fallen die Erträge auch hier wesentlich geringer aus.

Zum anderen sehen sich viele Olivenbauern immer wieder gewalttätigen Übergriffen durch radikale Siedler ausgesetzt. Besonders die Erntezeit ist immer wieder von Zwischenfällen geprägt, bei denen Siedler die Landwirte und ihre Familien während der Ernte angreifen, sie davon abhalten, ihr Land zu betreten, ihre Ernte stehlen oder Olivenbäume zerstören. Laut einem Bericht der UN[4] wurden 2017 über 5.500 Olivenbäume beschädigt oder zerstört, von etwa 3.200 Bäumen wurde die Ernte gestohlen.

Aus Turmus’ayya, einem Dorf nahe Ramallah, erhalten wir gleich zu Beginn der Erntezeit einen Anruf mit der Bitte, vorbeizukommen und die Familien bei der Ernte durch unsere Präsenz zu unterstützen. Viele Olivenbäume der Familien aus Turmus’ayya liegen sehr nahe an der israelischen Siedlung Shilo und mehreren Außenposten, weshalb sie sich vor Übergriffen durch die Siedler fürchten.

Als wir ankommen herrscht bereits große Aufregung: Abu Ghaleds Familie hat festgestellt, dass rund 30 ihrer Bäume komplett abgeschnitten und zerstört wurden, einige Bäume scheinen zudem vergiftet worden zu sein und sind abgestorben. Abu Ghaleds Sohn Zaid berichtet uns, dass diese Bäume über 40 Jahre alt und für die Familie sehr wertvoll waren. Wir machen Fotos für unseren Bericht und fragen, ob die Familie rechtliche Schritte unternehmen möchte. Zaid lacht nur bitter: „Was bringt das schon? Die Siedler kommen sowieso ungeschoren davon.“

Zerstörte Olivenbäume in Turmus‘ayya; © EAPPI
Zerstörte Olivenbäume in Turmus‘ayya; © EAPPI

Ein anderer Zwischenfall, den mein Team und ich direkt mitbekommen, ereignet sich in Burin. Burin liegt unweit der als besonders gewalttätig und radikal bekannten Siedlung Yitzhar und deren Außenposten. Auch hier liegen die Olivenhaine, die zum Dorf gehören, teilweise sehr nahe bei Siedlung und Außenposten. Als wir einen Anruf von unserem lokalen Kontakt erhalten, hören wir, dass eine Gruppe von Siedlern die Dorfbewohner*innen während der Ernte mit Steinen bewirft. Zum Glück sind wir gerade in der Nähe und können vorbeikommen. Wir sehen, wie zehn Siedler von einem Hügel herunterkommen und die Menschen, die dort in ihren Olivenhainen arbeiten, von oben mit Steinen bewerfen. Die israelische Armee kommt kurze Zeit nach uns an, aber sie scheint nichts zu unternehmen, um die Palästinenser*innen vor der Gewalt der Siedler zu schützen.

Siedler aus Yitzhar greifen Bauern in Burin mit Steinen an, ein Soldat steht dabei, schreitet aber nicht ein; © EAPPI
Siedler aus Yitzhar greifen Bauern in Burin mit Steinen an, ein Soldat steht dabei, schreitet aber nicht ein; © EAPPI

Eine Fallstudie der israelischen Menschenrechtsorganisation Yesh Din zur Siedlergewalt in den palästinensischen Dörfern rund um Yitzhar kommt zu dem Ergebnis, dass die israelische Armee in vielen Fälle eher die Siedler unterstützt oder einfach nur danebensteht und keine Mittel ergreift, um der Gewalt Einhalt zu gebieten[5]. Zudem scheint eine Kultur der Straflosigkeit zu herrschen, was Siedlergewalt angeht. Zaid aus Turmus’ayya ist nicht allein mit seinem fehlenden Vertrauen in rechtliche Schritte gegen Siedlergewalt und er hat auch allen Grund dazu, wie Yesh Din berichtet: In den vergangenen zehn Jahren kam es nur in drei Prozent der Fälle von Siedlergewalt, gegen die die betroffenen Palästinenser*innen rechtliche Schritte unternommen haben, überhaupt zu einer Anklageerhebung[6]. Dies führt auch dazu, dass immer weniger Palästinenser*innen Klage erheben wollen gegen die Gewalt der Siedler.

Nach internationalem Recht ist eine Besatzungsmacht verpflichtet „die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben [in den besetzten Gebieten] wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten“[7]. Zudem soll die Bevölkerung der besetzten Gebiete nach den Bestimmungen der IV. Genfer Konvention „vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung [und] vor Beleidigungen“[8] geschützt werden. Allein im Zeitraum von Januar bis August 2018 gab es nach UN-Angaben 186 Fälle von Siedlergewalt, die in der Verletzung von Menschen oder Eigentum resultierten[9].

Mirjam, November 2018

 

Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] https://www.ochaopt.org/content/infestation-expected-affect-olive-harvest-west-bank

[2] Yesh Din (2018): Yitzhar – A Case Study. Settler Violence as a vehicle for taking over Palestinian land with state and military backing. Online unter: https://s3-eu-west-1.amazonaws.com/files.yesh-din.org/2018+yitzhar+case+study/YeshDin+-+Yitzhar+-+Eng.pdf, S. 17.

[3] https://www.ochaopt.org/content/infestation-expected-affect-olive-harvest-west-bank

[4] https://www.ochaopt.org/content/olive-harvest-marked-access-and-protection-concerns

[5] Yesh Din (2018): Yitzhar – A Case Study. Settler Violence as a vehicle for taking over Palestinian land with state and military backing. Online unter: https://s3-eu-west-1.amazonaws.com/files.yesh-din.org/2018+yitzhar+case+study/YeshDin+-+Yitzhar+-+Eng.pdf, S. 23.

[6] Ebd., S. 31.

[7] Artikel 43 Haager Landkriegsordnung (https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19070034/index.html)

[8] Artikel 27 IV. Genfer Konvention (https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19490188/201407180000/0.518.51.pdf)

[9] https://www.ochaopt.org/content/infestation-expected-affect-olive-harvest-west-bank

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner