Inshallah – So Gott will

Gottesdienst in Nablus; © EAPPI
Gottesdienst in Nablus; © EAPPI

Wie jeden Sonntag haben wir auch heute einen Gottesdienst in Nablus besucht. Zum dritten Mal sind wir in der anglikanischen Kirche „Zum guten Hirten“ (Good Shepherd Church) bei  Vater Jamil, der seit Juli 2018 Priester der Kirche ist. Neben der anglikanischen Kirche mit 120 Mitgliedern gibt es noch drei weitere christliche Gemeinden in Nablus – katholisch, griechisch-orthodox und griechisch-katholisch. Zur Good Shepherd Church gehört außerdem die alte „St. Philip Church“ in der Altstadt von Nablus, in der auch ein Kindergarten zu finden ist. Am heutigen Sonntag hatten wir nicht nur das Privileg, mithilfe einer englischen Übersetzung dem bewegenden Gottesdienst folgen zu können. Im Anschluss an die einstündige Messe nahm sich Vater Jamil auch noch die Zeit, mit uns über sein Leben zu sprechen, als Christ, Priester, Mann oder einfach als Mensch, unter der israelischen Besatzung, in einem mehrheitlich muslimischen Land.

Vater Jamil erzählt uns bei einem leckeren Mittagessen zunächst vom Kindergarten der St. Philip Church, der bereits 1848 vom Schweizer Pilger-Missionar Christian Fallscheer gegründet worden war. Zwei christliche Mädchen und 35 muslimische Kinder werden dort derzeit betreut. Viele der Kinder kommen aus schwierigen finanziellen Verhältnissen. Die Eltern müssen nur so viel für die Betreuung bezahlen, wie ihnen möglich ist. Jedoch deckt nicht einmal die reguläre Gebühr in Höhe von 130 Shekel (30 Euro) pro Monat die anfallenden Kosten. Zwei der fünf Angestellten des Kindergartens werden daher von der Diözese Jerusalem[1] bezahlt, Sitz des anglikanischen Bischofs. Vater Jamil ist sich sicher, dass viele Kinder nicht mehr kommen könnten, wenn sie eine Gebührenpflicht einführen würden.

Obwohl der 29-Jährige Jamil schon als Teenager den Drang verspürte, in einer Kirche zu arbeiten, entschied er sich – auch aus finanziellen Gründen – dazu, Buchhaltung an der Arab American University in Jenin zu studieren. Doch nach seinem Abschluss wurde ihm bei einem Gespräch mit dem Bischof von Jerusalem bewusst, dass er doch seiner Berufung folgen sollte. Nach dem Studium an der „Near East School of Theology“ in Beirut wurde er für drei Jahre in die jordanische Stadt Salt entsandt. Dort arbeitete er für und mit dem „Holy Land Institute for the Deaf – Jordan“[2] einer gemeinnützigen christlichen Organisation, die gehörlose und taubblinde Kindern unterstützt.

Seitdem Vater Jamil Priester in Nablus ist leitet er unter anderem auch die am Freitagvormittag stattfindende Sonntagsschule für alle christlichen Kinder und jungen Erwachsenen aus Nablus. In Palästina beginnt die Arbeitswoche am Sonntag. Das bedeutet für die meisten der 600 arabischen Christen in Nablus, dass sie an ihrem Feiertag arbeiten müssen und meist nicht am Gottesdienst teilnehmen können. Jeden Mittwoch leitet Vater Jamil den Bibelunterricht für die Frauengruppe mit etwa 35 Teilnehmer*innen aus den verschiedenen Gemeinden. Ich bin begeistert, dass derartige Angebote hier einen solchen Anklang finden. Vater Jamil setzt viel daran, die Mitglieder der christlichen Kirchen in Nablus wieder stärker zusammenzubringen und eine christliche Einheit zu schaffen. So möchte er für alle „das Leben schöner zu gestalten“.

Kindergarten der anglikanischen Gemeinde in Nablus; © EAPPI
Kindergarten der anglikanischen Gemeinde in Nablus; © EAPPI

Mit den muslimischen Gemeinden und den etwa 400 Samaritanern in der Region Nablus gibt es laut Vater Jamil einen regelmäßigen Austausch. Die Samaritaner sind eine Religionsgemeinschaft, die wie das Judentum aus der ursprünglichen israelitischen Religion hervorgegangen ist[3].  Heute lebt die kleine verbliebene Gemeinschaft nahe Nablus auf dem Berg Gerizim und in der israelischen Stadt Holon.

Natürlich haben wir auch über die Besatzung gesprochen, die er nicht nur als politisches, sondern auch wirtschaftliches Problem bezeichnet. Vater Jamil erzählt uns von den Auswirkungen der Besatzung auf die Menschen in Nablus, die die christlichen Familien ebenso treffen wie ihre muslimischen Nachbarn. Wenige Ausnahmen gibt es für die Christen unter Besatzung, wie etwa Einreisegenehmigungen, um zu Ostern und Weihnachten nach Jerusalem reisen zu können. Viele der Palästinenser, auch aus Nablus, arbeiten in Israel, wo sie mehr verdienen als im Westjordanland. Die Frage nach der Zukunft des Landes lässt er unbeantwortet. Zunächst müssten wichtige Dinge wie der Status der palästinensischen Flüchtlinge geklärt und eine gerechte Entscheidung bezüglich Jerusalem getroffen werden, der „für Juden, Christen und Muslime einzigartig wertvollen Stadt“.

Auf die Frage nach der Rolle Gottes in diesen herausfordernden Zeiten erklärt uns Vater Jamil herzlich, dass wir Gott nicht in den einfachen, sondern in den schweren Zeiten sehen und näherkommen. Er sieht jede Situation, sei sie noch so schwierig und schmerzhaft, als wertvoll an, solange sie unser Herz näher zu Gott führt. Ich bin froh, zwischen all den traurigen Erlebnissen der Besatzung so viel Vertrauen in Gottes Wirken und seine Gnade zu sehen, gleichwohl von den muslimischen und christlichen Bewohnern dieses Landes.

Zum Ende sprechen wir mit Vater Jamil noch über die Notwendigkeit der internationalen Solidarität. Für ihn ist Solidarität mehr als nur monetäre Unterstützung, auch mehr als unser Gebet für Frieden in dieser Region. Er hofft, dass die Menschen auf der ganzen Welt anfangen, sich nach den Bewohnern des Heiligen Landes zu erkundigen, und sich wenn möglich mit ihren eigenen Augen ein Bild von der Situation im besetzten Palästina machen. Er wünscht sich, dass mehr Menschen kommen, um die Geschichten der Menschen zu hören und sie zuhause weiterzuerzählen.

Nach all der Zeit und all den Erfahrungen freue ich mich nun schon darauf, Vater Jamils Wunsch bald umsetzen zu können. Und „inshalla“ – so Gott will, einen Beitrag leisten zu können für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel.

Susanne, im Januar 2019

 

Ich nehme für das Berliner Missionswerk (BMW) am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des BMW oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] http://www.j-diocese.org/index.php?lang=en&page=institutions&sub=129698366033

[2] http://www.holyland-deaf.org/de/

[3] https://www.zeit.de/2016/39/samaritaner-israel-religion-gemeinschaft

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