Hoffnung statt Resignation

Straße in der Altstadt Jerusalems ©EAPPI
Straße in der Altstadt Jerusalems ©EAPPI

Alltag – an manchen Tagen habe ich das Gefühl, dass ich mich in den wenigen Wochen hier an das Leben gewöhnt habe. Ist das gut oder schlecht? Es ist gut, indem viele der Eindrücke nicht mehr so überwältigend erscheinen. Es wäre schlecht, wenn es mich blind machte für all das, was hier nebeneinander steht. Mein Hauptbestreben ist es, offen zu bleiben, mich nicht festzulegen in einer generellen Bewertung der einen oder anderen Seite. Dies scheint so leicht zu passieren in diesem Land. Für mich ist der offene Blick für alles hier überlebenswichtig.

Ja, das Unrecht, die Willkür und die Menschenrechtsverletzungen sind zutiefst verstörend und ich frage mich: wohin mit all dem Gehörten und Beobachteten? Was macht das mit mir? Welche Spuren hinterlässt all das bei mir? Und wie kann ich diese Erfahrungen gut nutzen?

Es gibt aber auch die erfreulichen, inspirierenden Erlebnisse und Begegnungen, mit Palästinensern genauso wie mit Israelis. Spontane fröhliche Begegnungen gerade auch mit Fremden wie z.B. die Einladung zu einem Kindergeburtstag auf unserem täglichen Nachmittagsrundgang durch die Altstadt oder die Besuche der orthodoxen Klezmer-Gruppe, die sich selbst nicht allzu ernst nehmen. Daneben gibt es inspirierende Begegnungen, die meine Gedanken in andere Bahnen lenken, wie die Begegnungen mit ein paar jungen Menschen von „The interfaith Center for sustainable Development“[1]. All das nebeneinander wahrzunehmen bereichert mein Leben und öffnet meinen Blick für die Welt. Dafür bin ich dankbar.

Die israelische Seite

Wir begegnen Israelis, die mich sehr beeindrucken. Sie setzen sich ‚mit Haut und Haar‘ für ihr Land ein und einige von ihnen bezeichnen sich als Patrioten, die um die Demokratie ihres Landes bangen. Sie setzen sich ein für die Einhaltung der Menschenrechte, für die Erhaltung der Demokratie, für einen gerechten Umgang mit Palästinensern, für das Ende der Besatzung. Gemeinsam ist ihnen allen ihr großes Engagement für die Sache. Ihrer Regierung sind sie dabei ein Dorn im Auge – fast genauso wie die Palästinenser.

Die Referentin von „New Profile – Movement for the Demilitarization of the Israeli Society[2]“ berichtet, wie Militär und Patriotismus in diesem Land eng verknüpft werden, so als wäre das Eine ohne das Andere nicht möglich. Diese NGO arbeitet an der Bewusstmachung der Militarisierung der israelischen Gesellschaft, und setzt sich für die Entmilitarisierung der Erziehung ein (sie berichtet, dass in Grundschulbüchern z.B. das Zählen anhand von Panzern, Kanonen und Maschinengewehren erlernt wird). Zudem plädieren sie für das Recht aller, den Wehrdienst zu verweigern. Die Referentin erzählt, wie ihr Sohn als Pazifist über Jahre hinweg den Wehrdienst verweigert. Er macht in dieser Zeit Freiwilligendienst in einer sozialen Einrichtung, dies wird als „Dienst an der Gemeinschaft“ allerdings nicht anerkannt. Ins Gefängnis muss er jedoch nicht, im Gegensatz zu manch anderen Verweigerern, da er keine politische Meinung äußert (z.B. in Bezug auf die Besatzung) und am Ende, so sagt sie, gibt man ihn wohl als ‚hoffnungslosen Fall‘ auf.

Der Vortrag von New Profile führt uns noch einmal vor Augen, dass das Militär nicht nur durch Soldaten sehr präsent ist im israelischen Alltag. Auch Waffen werden beinahe als „Alltagsgegenstand“ behandelt. Die Referentin zeigt und Bilder von Kindern, die auf Messen Waffen in die Hand nehmen, auf Spielplätzen stehen Kanonen neben Rutschen und anderem Spielgerät und ein Jagdflugzeug steht als Denkmal inmitten eines Wohngebietes.

Die Gruppe „The other voice[3]“ besuchen wir in Sderot, einem israelischen Ort nahe bei Gaza. Die Menschen dort erlebten die Gaza-Kriege hautnah mit, weil in ihrem Ort bis zu 50 Raketen am Tag landeten. Wir sprechen mit einem der Initiatoren. Die Trennung von ihren ehemaligen Nachbarn in Gaza, die früher einen florierenden Markt in Sderot betrieben, wollten sie nicht länger hinnehmen. „Wir können nicht ignorieren, dass es dort Menschen in unserer Nähe gibt, die ohne Hoffnung, ohne Freiheit und ohne Verbindung nach außen leben.“ Diese Organisation in Sderot stellt Kontakte zu Menschen in Gaza her – das Internet ist hierbei die Brücke ins Land.

Am selben Abend treffen wir einen jungen Mann aus Gaza: seit zehn Jahren ist er zum ersten Mal außerhalb des abgeriegelten Gebiets. Wir erfahren von verschmutztem Wasser (jegliches Trinkwasser muss in Flaschen gekauft werden), von 3 Stunden Elektrizität am Tag (d.h. keine Nutzung von Kühlschrank, Heizung im Winter oder Kühlung im Sommer), davon, dass die Wirtschaft zusammengebrochen ist. Gaza wird immer wieder als das größte Freiluft-Gefängnis der Welt bezeichnet, hier leben bis zu 2 Millionen Menschen auf engstem Raum beisammen, den sie außer in Ausnahmefällen z.B. aus medizinischen Gründen praktisch nicht verlassen können. Mehrmals hören wir, nicht nur von ihm: die internationale Gemeinschaft hat hier eine Verantwortung – jedoch gerät die Situation in Gaza mehr und mehr in Vergessenheit. Dieser junge Mann erlebte als Teenager drei Kriege: sein Körper spricht eine deutliche Sprache darüber: durch unbewusste Bewegungen und ‚Ticks‘, einem Fuß der unablässig auf den Boden tippt.

Wir besuchen das Dorf Wahat al-Salam Neve Shalom[4] („Oase des Friedens“), eine halbe Stunde von Jerusalem entfernt. Ich kenne das Dorf von einem früheren Besuch. Damals sagte der dortige Café-Besitzer „see you next year, when there is peace“ – das hat leider nicht geklappt, aber ich freue mich, nun wieder hier zu sein. Dieses Dorf mit seinen circa 100 Familien ist einmalig im Land. Hier leben Menschen dreier Religionen der beiden Völker Israels und Palästinas zusammen. Das Land, auf dem das Dorf steht, gehörte lange Zeit einem christlichen Orden – bis dieser es vor zehn Jahren dem Dorf schenkte. So intervenierte der israelische Staat nicht in das Projekt. Gemeinsam setzen sich die Bewohner für Gleichberechtigung und Verständigung beider Völker ein. Neben einer bi-nationalen Grundschule (in der viele Fächer gleichzeitig auf Hebräisch und Arabisch unterrichtet werden), gibt es auch die „School for Peace“. Hier finden intensive Friedenskurse statt, die international in diversen Studien Beachtung gefunden haben. Diese Kurse werden inzwischen auch auf Zypern und in Irland durchgeführt. Ein weiteres Training bildet „Change Agents for the Society“ aus, junge Menschen, die später Veränderungen in ihrem Land bewirken und mittragen können.

Die meisten Bewohner des Dorfes sind jedoch nicht in diese Arbeit involviert, sondern gehen einer anderen Arbeit außerhalb des Dorfes nach. Das Interesse potentieller zukünftiger Bewohner ist groß und die Warteliste ist lang.

Für einen Tag sehe ich meine israelische Freundin Nomi und ihre Familie wieder. Auch sie sehen die politischen Vorgänge im Land kritisch und beteiligen sich an verschiedenen Aktionen zur Unterstützung von Palästinensern, wie z.B. in der NGO „The Road to Recovery[5].“ Freiwillige dieser Organisation bringen Palästinenser, die zu medizinischer Behandlung nach Israel dürfen, jedoch nicht im Krankenwagen gefahren werden müssen, vom Checkpoint zum Krankenhaus und wieder zurück.

Nomi und ihr Mann berichten auch von ihren Erfahrungen als Israelis im Ausland. Sobald sie ihre Nationalität offenbaren, ist die Politik ihres Landes Gesprächsthema. Jeder scheint dazu eine Meinung zu haben, die meist nicht von Wissen und persönlicher Erfahrung gespeist ist. Immer wieder scheint es beim Thema Israel nur „entweder – oder“ zu geben.

Einseitigkeit macht mich immer wieder sprachlos, wenn ich ihr begegne. So spricht eine eingewanderte Jüdin von der „Wiedervereinigung Jerusalems“ (die internationale Gemeinschaft erkennt die Annexion Ost-Jerusalems zum Staat Israel nicht an) und davon, dass das Krankenhaus zunächst auf der „falschen Seite“ (sprich Ost-Jerusalem vor der Annexion) gelegen hätte. Wäre ich nicht thematisch damit beschäftigt, mir wäre die Wortwahl kaum aufgefallen. Auf palästinensischer Seite begegnet uns dies ebenfalls und ein Palästinenser sagt: „Ich spreche mit Juden, aber niemals mit Israelis.“

Eine Lösung des Konflikts scheint sehr weit entfernt. Umso mehr berührt mich die Hoffnung auf eine Lösung, die mir bei Vielen begegnet, auch wenn sie sagen, dass sich die Situation seit Jahren stetig verschlechtert. In einigen Fällen mag es eine “Hoffnung statt Resignation“ sein, in anderen Fällen ist es eine Hoffnung, die sich aus vielen kleinen Schritten nährt. Einer sagt: „Menschen wie ihr, die ihr herkommt und uns unterstützt, nähren meine Hoffnung.“ Das berührt mich und ich lasse mich gern von seiner Hoffnung anstecken. Von der Hoffnung der Menschen hier lerne ich.

Erdmuthe, Jerusalem, Januar 2017

[1] http://www.interfaithsustain.com

[2] Siehe auch: www.newprofile.org

[3] Siehe auch www.othervoice.org

[4] Siehe auch www.wasns.org

[5] Siehe auch www.roadtorecovery.org.il

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