Frische Trümmer

„Vor zwei Wochen haben wir die Fenster und Türen eingesetzt und den Bau damit fertiggestellt“, erzählt ein Handwerker, der wie wir kurzfristig von der Hauszerstörung gehört hat. Jetzt ist alles nur noch ein Trümmerhaufen. Als wir ankommen, sind die Bulldozer gerade fertig mit ihrem Zerstörungswerk. Sie haben den Zugang zum Grundstück mit Flatterband abgesperrt – es liegt mitten im Ost-Jerusalemer Stadtteil Beit Hanina, in direkter Nähe zur Hauptstraße, die vom Qalandia Checkpoint ins Stadtzentrum führt.

Trümmer in Beit Hanina, Foto EAPPI
Trümmer in Beit Hanina, Foto EAPPI

Nachbarn erzählen uns, dass der Hausbesitzer zum Gebet in die Moschee gegangen sei. Wir suchen uns einen Schattenplatz und warten. Journalisten palästinensischer Sender kommen, zwei Kameras werden aufgebaut. Der eine Journalist erkennt unsere Jacken – immer wieder hat er nach Hauszerstörungen Interviews gedreht und dabei unsere Vorgänger von EAPPI kennengelernt. Ein netter Nachbar verteilt Wasser – das Thermometer ist inzwischen auf 35 Grad geklettert.

Der Hausbesitzer Abu Ahmad mit seiner Mutter
Der Hausbesitzer Abu Ahmad mit seiner
Mutter

Schließlich kommt der Besitzer des zerstörten Hauses, ein gut 40-jähriger Mann mit kurzgeschnittenem Vollbart. Er erzählt den Journalisten die traurige Geschichte: Er hat eine Familie mit sechs Kindern und wohnt noch bei seiner Mutter. Auf seinem Grundstück hat er vor gut 10 Jahren zunächst einen Stall für Geflügel gehabt – er betreibe eine Fleischerei, ergänzt er. Dann habe er irgendwann das Geld zusammen gehabt, um hier ein Haus für seine Familie zu errichten – 400.000,- Schekel habe er ausgegeben für 110 qm Wohnfläche, das sind mehr als 100.000,- Euro, ein Vermögen für die Menschen in Ost-Jerusalem. Jetzt muss er noch die Abrisskosten bezahlen und den Trümmerhaufen innerhalb von drei Tagen beseitigen – sonst droht eine Strafzahlung. Eine Zerstörungsanordnung, wie sie sonst üblich ist, hat er nicht erhalten, sagt er – vielleicht, weil er das Haus noch nicht bezogen hatte.

Als wir noch mit ihm sprechen, kommt eine ältere Frau – seine Mutter, wie sich herausstellt. Sie hebt die Arme zum Himmel und klagt laut – aber sie hat auch tröstende, beschwichtigende Worte, wie uns unser Übersetzer nachher erzählt: „Es kommt nicht auf das Geld an, wenn man nur ein guter Mensch ist“ hat sie wohl gesagt.

Solche innere Stärke braucht man wohl, wenn man vor den Trümmern seines Hauses steht – und es geht vielen Menschen hier so. Noch während der Rückfahrt bekommen wir eine SMS, dass in der Nähe ein weiterer Bulldozereinsatz stattgefunden hat: Wir fahren auch da hin, Leute auf der Straße haben es mitbekommen und können uns den Weg weisen: Ganz am Ortsrand, an einem steilen Abhang in ein karges Tal stoßen wir auf Trümmer: Bis heute Morgen stand hier eine Mauer auf der Grundstücksgrenze. Weiter unten dann ein weiterer Trümmerhaufen, wo zuvor ein Haus stand – etwas daneben ein Wellblechzaun und ein noch stehendes Haus. Wir gehen hinab und treffen den  Hausbesitzer und seinen Vater.

Die wenigen geretteten Habseligkeiten stehen am Wellblechzaun, im Hintergrund eine israelische Siedlung
Die wenigen geretteten Habseligkeiten stehen am
Wellblechzaun, im Hintergrund eine israelische Siedlung

Wir stellen uns vor und hören dann ihre Geschichte an: Am Morgen um 8 Uhr wären die Bulldozer gekommen, erzählt er. In dem Haus wohnte ein Ehepaar mit einem Sohn. Sie hatten gerade noch Zeit, Möbel aus dem Haus auszuräumen, bevor es zerstört wurde – die stehen nun an dem Wellblechzaun: Ein Sofa, Bettenroste und Matratzen, ein Stuhl … viel ist es nicht. Beim Blick über die Möbel fällt der Blick auf den kargen Berghang nebenan – oben drauf eine israelische Siedlung. Die Häuser sehen proper aus. Obwohl sie gegen internationales Recht verstoßen droht in den Siedlungen keine Hauszerstörung.

Der Hausbesitzer sagt, er habe keine Zerstörungsverfügung erhalten – allerdings sei dem Vater in dem Haus hinter dem Wellblechzaun heute eine solche überreicht worden – innerhalb von zwei Monaten soll er das verbliebene Haus abreißen, weil es illegal sei.

Die fehlende Genehmigung für die Häuser wird fast immer als Grund für den Abriss genannt. Die israelische NGO Bimkom erklärt, dass etwa 20.000 Wohnungen in den palästinensischen Stadtteilen Ost-Jerusalems ohne Genehmigung gebaut wurden und daher permanent von Abriss bedroht sind[1]. Warum aber bauen die Menschen überhaupt ohne Genehmigung? Obwohl Palästinenser fast 2/3 der Bevölkerung Ost-Jerusalems ausmachen, dürfen sie lediglich auf 15% der Fläche bauen. Darüber hinaus ist die Registrierung von palästinensischem Privatland in Ost-Jerusalem seit 1967 de-facto eingefroren[2]. Auch fehlt es generell an Masterplänen für die bauliche Entwicklung der palästinensischen Nachbarschaften in Ost-Jerusalem, ohne die die Erteilung von Baugenehmigungen unmöglich ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein palästinensischer Bauantrag genehmigt wird, ist sehr gering. Laut ACRI (3) entfallen jährlich lediglich 13% der erteilten Genehmigungen in Jerusalem auf palästinensische Bauprojekte.

Die Bauanträge selbst sind mit hohen Kosten verbunden – unser Fahrer erzählt, dass ein Antrag nur für ein sehr großes Haus erfolgversprechend ist – und da müsste schon für den Antrag eine Million Schekel, ungefähr 300.000 Euro, bezahlt werden. Wenn jemand das Geld für einen Hausbau zusammenbringen kann, spart er sich diesen so aussichtslosen Antrag meistens – und ist dann ständig davon bedroht, dass sein Haus abgerissen werden kann.

So stehen wir also noch eine Zeit lang mit den klagenden Männern am Rand von Beit Hanina und können ihnen nicht mehr helfen, als dass wir das Rote Kreuz/ den Roten Halbmond benachrichtigen, damit sie zumindest ein Zelt bekommen können. Und wir versprechen, diese Geschichte in unseren Ländern weiter zu erzählen – damit viele daran mithelfen, dass in Ostjerusalem und in der ganzen Region Gerechtigkeit und Frieden einziehen, und Hauszerstörungen ein Ende haben.

Berthold, Juli 2017

[1] http://bimkom.org/eng/bimkom-the-green-line/

[2] https://www.nrc.no/globalassets/pdf/legal-opinions/application_4_building_permit_memo.pdf

(3) http://www.acri.org.il/en/category/east-jerusalem/planning-and-building-rights/

 

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner