Erste Eindrücke

Taube mit Olivenzweig, das Symbol der Hoffnung auf Frieden an einer palästinensischen Hauswand
Taube mit Olivenzweig, das Symbol der Hoffnung auf Frieden an einer palästinensischen Hauswand

In der kurzen Zeit meines bisherigen Einsatzes eröffnet sich mir die Vielschichtigkeit des Konflikts auf diesem Flecken Erde – und gleichzeitig verstehe ich immer weniger. Je mehr ich lerne, desto mehr lose Enden entdecke ich. Unsere Arbeit ist weder pro Israel noch pro Palästina sondern pro Gerechtigkeit. Da die Palästinenser jedoch mehr Menschenrechts-verletzungen erleben liegt der Schwerpunkt unserer Präsenz auf der palästinensischen Seite.

„School-run“

Eine unserer Aufgaben ist der sogenannte „school-run“. In der Altstadt Jerusalems gibt es 21 Schulen. Am Haupteingang zur Altstadt von Ost-Jerusalemer Seite, dem Damaskustor, gab es letztes Jahr eine Reihe von Messerattacken und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis. In der Folge wurden alle Menschen dort von schwer bewaffneten Soldaten kontrolliert, so auch die Schulkinder. Die Schulen haben unser Programm daraufhin um Präsenz auf dem Schulweg gebeten. Schon ein abgebrochenes Lineal kann ausreichen, um ein Kind zu verdächtigen und es festzunehmen. Diese Kinderverhaftungen sind leider nicht unüblich und häufig stehen palästinensischen Kindern nicht die gleichen Rechte zu wie ihren israelischen Altersgenossen[1]

Es kann sein, dass unsere Präsenz am Damaskustor bewirkt, dass dort weniger Kinder durchsucht werden, denn wir werden definitiv von den dort positionierten Soldaten wahrgenommen. Ein paar Mal kamen sie bereits, um uns wegzuschicken oder um unsere Pässe zu sehen.  Auch werden immer wieder Fotos von uns gemacht. Diese Situationen irritieren mich – gleichzeitig werde ich mit der Zeit gelassener.

Checkpoint

Dreimal in der Woche sind wir morgens um vier am Checkpoint Qalandia. Dieser liegt nördlich von Jerusalem und ist der Hauptübergang für Menschen aus Ramallah und Umgebung. Die Situation ist von Tag zu Tag sehr unterschiedlich und daher unberechenbar. Deshalb stehen Menschen, die um 8 Uhr bei der Arbeit sein wollen, oft schon um 4 Uhr am Checkpoint in der Schlange. Vor allem im Winter, der auch hier nicht nur mediterran mild ist, ist dies anstrengend.

In enge Gittergänge gezwängt warten die Menschen am Checkpoint Qalandia
In enge Gittergänge gezwängt warten die Menschen am Checkpoint Qalandia

An unserem ersten Tag dort waren nur zwei der drei möglichen Zugänge geöffnet und so gab es viel Gedrängel, Ärger, Rufe und Unruhe. Mich bedrückte dabei besonders zu sehen, wie angestauter Ärger sich gegeneinander entlud und wie diese Situation Menschen dazu bringt, sich nicht mehr menschlich zu verhalten.

Anhand eines einfachen Systems können wir feststellen, wie lange die Menschen von einer Seite des Checkpoints auf die andere Seite benötigen. Die Wartezeit variierte an unserem ersten Tag zwischen 20 min und 3 Stunden. Immer wieder kommt es vor, dass Menschen von der Kontrolle zurückgeschickt werden, nachdem sie stundenlang in der Schlange standen, weil ihr „permit“ (Passierschein) ungültig ist. Die Gründe dafür sind vielfältig und für die Betroffenen nicht immer nachvollziehbar. Menschen, denen wir selbst nicht weiterhelfen können, verweisen wir an die Freiwilligen unserer israelischen Partnerorganisation Machsom Watch („Checkpoint-Beobachtung“). Sie kennen das System sehr gut und können manchmal kleine Wunder bewirken.

Mich strengt die Arbeit am Checkpoint vor allem emotional an – dass sie zu früher Tagesstunde stattfindet und ich kein Arabisch spreche macht es nicht leichter.

Beduinen

Unsere regelmäßigen Besuche in Beduinen-Dörfern hingegen machen mir große Freude, da sie trotz der Sprachbarriere immer sehr herzlich sind. Beduinen-Gemeinden erleben häufig Übergriffe durch Siedler sowie Hauszerstörungen durch die israelischen Behörden. Da viele Beduinen-Dörfer rund um Jerusalem in Gegenden liegen, in denen Siedlungen stehen oder geplant sind, sind sie außerdem von der Umsiedlung in Townships bedroht[2].

Die Siedlung Maale Adummim liegt direkt oberhalb des Beduinendorfs Khan al Ahmar
Die Siedlung Maale Adummim liegt direkt oberhalb des Beduinendorfs Khan al Ahmar

Als wir gestern durch die Siedlung Maale Adumim fuhren erlebten wir einen schönen Ort mit allem, was man sich zum Leben wünscht. Diese Siedlung besteht seit circa 30 Jahren, eine komplette Generation ist hier schon aufgewachsen – das ist ihr Zuhause und somit ist es nachvollziehbar, dass man diese Menschen nun nicht „einfach“ wieder in Israel ansiedeln kann, selbst wenn man es wollte. Wie sehr ist die Illegalität[3] ihres Wohnorts wohl den etwa 40.000 Einwohnern bewusst? Und kann man ihnen Vorwürfe machen, weil sie auf Land leben, dass sich die Regierung unrechtmäßig angeeignet hat? Als wir gestern durch diese kleine Stadt fuhren, wurde mir deutlich, was gemeint ist, wenn es heißt „Israel schafft mit den Siedlungen Fakten“. In diesem Ort fühlen sich Menschen zuhause, so wie nebenan die Beduinen auf ihrem Land.

Mit unseren Besuchen bei den Beduinen wollen wir deutlich machen, dass die Situation in den Dörfern auch jenseits ihrer Grenzen bekannt ist. So können wir den Bewohnern etwas moralische Unterstützung geben. Immer wieder bedanken sie sich ausdrücklich für unser Kommen – obwohl wir gefühlt nicht viel mehr tun außer Tee zu trinken und ihnen zuzuhören.

Schülerin der "Reifen-Schule" in Khan al-Ahmar
Schülerin der „Reifen-Schule“ in Khan al-Ahmar © EAPPI

Im Dorf Khan al Ahmar gibt es die sogenannte „Tyre-School“. Da es für das Errichten von Gebäuden aus Zement und Stein keine Erlaubnis gab, baute man die Schule aus alten Autoreifen und verschmierte diese mit Lehm. Es ist eine kleine feine Schule, die mit ihren bemalten Wänden einen freundlichen Eindruck macht. 160 Schüler werden dort von 16 Lehrerinnen in den Klassen 1-9 unterrichtet. Die Schule liegt auf einem Gebiet, das für neue jüdische Siedlungen verplant ist. Immer wieder kommt es zu Übergriffen, z.B. indem die Siedler durch den Hinterhof das Gelände betreten und von allem Fotos machen. Zusätzlich wurde ein von Italien gespendeter Spielplatz konfisziert, weil er illegal auf dem Grundstück errichtet worden sei. Außerdem wurde das Entlüftungsventil einer neu angelegten Abwasserleitung direkt vor einem Schulfenster platziert und wird in regelmäßigen Abständen geöffnet. Unterricht ist dann für alle Beteiligten unmöglich. Inzwischen müssten dringende Reparaturen an der Schule erfolgen, aber derzeit ist es nicht erlaubt, Baumaterial in jedweder Form zur Schule zu bringen. Die Einhaltung dieser Vorgabe wird mit Hilfe von Video-Überwachung überprüft.

Ein Klassenraum der "Reifen-Schule"
Ein Klassenraum der „Reifen-Schule“ ©EAPPI

Am 25. Februar 2017 soll der Fall „Schließung der Tyre-School“ vor einem israelischen Gericht verhandelt werden und die Schule hofft auf die Anwesenheit von möglichst vielen ausländischen Beobachtern. Schon im vergangenen Sommer hatten die israelischen Behörden die Schließung der Schule angeordnet. Daraufhin beschlossen die Lehrerinnen, die Schuljahreseröffnung demonstrativ zwei Wochen vor dem regulären Schuljahresbeginn in Anwesenheit einiger internationaler Gäste stattfinden zu lassen. Seitdem gehen sie ihrer täglichen Arbeit nach und versuchen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

Ich bin immer wieder erstaunt, mit welcher scheinbaren Genügsamkeit die Menschen über ihre Situation berichten und einfach nur versuchen, das Beste daraus zu machen. Und so frage ich immer wieder gerne, was ihnen Hoffnung gibt. Eine Antwort war: „We have nothing to lose – so we are optimistic“.

Bei all diesem Erleben ist es einfach eine einseitige Sicht zu bekommen. Mir ist es ein Anliegen, die andere Seite nicht aus dem Blick zu verlieren.

Klezmer-Konzert in Jerusalem
Klezmer-Konzert in Jerusalem

Einen ersten sehr ungewöhnlichen Kontakt durfte ich am Samstagabend zusammen mit Freunden haben. Es gibt eine Gruppe orthodoxer Juden in Jerusalem, die öffentlich zu einem fröhlichen Schabbat-Ausklang mit Klezmer-Musik einladen. In einem urigen Keller voller Bücher wurde zunächst Musik gespielt, bevor das Ritual mit Segen für Wein, Gewürze und Licht den Sabbat beendete. Der restliche Wein wurde mit allen Anwesenden geteilt, dazu gab es eine Art Kartoffelkuchen. Zum Wunsch einer guten neuen Woche gab es nochmals gut gelaunte Musik und ein wenig Tanz bevor sich alle Anwesenden verabschiedeten.

Ich bin dankbar für diesen Abend, weil er mir die Gemeinschaft der orthodoxen Juden in Jerusalem ein ganz klein wenig näher brachte. Ich sehe sie sehr oft in der Altstadt und sie sind mir stets fremd in ihren Kaftanen, hohen Hüten und Schläfenlocken. Nun weiß ich, dass mich mit einigen von ihnen die Liebe zur Klezmer-Musik verbindet.

Es ist wohl eine Kunst, niemals aufzuhören, nach dem zu suchen, was uns mit dem Fremden verbindet.

Erdmuthe, Dezember 2016

[1] http://www.addameer.org/content/precarious-childhood-arrests-jerusalemite-children

[2]https://www.ochaopt.org/documents/ocha_opt_communities_jerusalem_factsheet_september_2014_english.pdf

[3] Die 4.Genfer Konvention besagt, dass es einer Besatzungsmacht nicht gestattet ist, die eigene Bevölkerung im besetzten Gebiet anzusiedeln.

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