„Der letzte Tag der Besatzung ist der erste Tag des Friedens“

An einem kühlen Novemberabend sitzen wir zusammen mit dem Dorfvorsteher Rashed und seiner Familie um ein knisterndes, wärmendes Feuer. Der obere Teil des kleinen Ortes Yanoun liegt beschaulich in einem Tal nahe Nablus. Olivenhaine, Schafweiden und Felder prägen das hügelige Landschaftsbild, die nächste größere Ortschaft ist 5 Kilometer entfernt. Als es dunkel wird gehen auf dem gegenüberliegenden Hügel die Scheinwerfer an, die für den Rest der Nacht auf Yanoun gerichtet sein werden.

Foto aufgenommen in Upper Yanoun mit Blick auf den gegenüber liegenden Außenposten „Hill 777“ mit Fluchtlichtern; © EAPPI
Foto aufgenommen in Upper Yanoun mit Blick auf den gegenüber liegenden Außenposten „Hill 777“ mit Fluchtlichtern; © EAPPI

Das Dorf Yanoun mit seinen insgesamt etwa 100 Einwohnern ist in einer prekären Situation. Einerseits liegt es in den C-Gebieten, jenen reichlich 60% des Westjordanlands, die unter vollständiger israelischer Kontrolle stehen. Palästinensische Entwicklung ist hier nahezu unmöglich. So gibt es z.B. so gut wie keine Genehmigungen seitens der israelischen Behörden für private oder öffentliche palästinensische Bauprojekte, Ländereien wurden enteignet oder der Zugang beschränkt. Gleichzeitig sind die C-Gebiete jener Teil des Westjordanlands, in denen israelische Siedlungen, Außenposten und die dazugehörige Infrastruktur mit zunehmender Geschwindigkeit ausgebaut werden. Mittlerweile leben über 400.000 Siedler im Westjordanland, Ost-Jerusalem nicht eingeschlossen.

„Upper“ Yanoun ist von illegalen Außenposten der Siedlung Itamar nahezu eingeschlossen. Aus dem Tal heraus führt eine Straße Richtung „Lower“ Yanoun und weiter in den Ort Aqraba. Auf den Hügeln rund um das Dorf jedoch stehen die Außenposten Gvaot Olam, Hill 777 und Hill 836. Gvaot Olam ist bekannt für seine Biofarmen[1]. Schafe, Ziegen, Hühner werden hier in großer Zahl gehalten, die Bioprodukte an israelische Supermärkte geliefert. Google Maps zeigt an, dass es im Außenposten Hill 777 einen Weinberg mit eigener Produktion gibt. Während jegliche Art von Besiedlung eines besetzten Gebietes gemäß Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention verboten ist, betrachtet Israel lediglich die ohne offizielle Genehmigung der eigenen Behörden etablierten Außenposten als illegal. Im Februar 2017 verabschiedete das israelische Parlament jedoch ein Gesetz, welches die rückwirkende Legalisierung illegaler Außenposten ganz offiziell möglich macht[2].

Yanoun (Yanun) und die umliegenden Außenposten; © UNOCHA-OPT Interactive Map
Yanoun (Yanun) und die umliegenden Außenposten; © UNOCHA-OPT Interactive Map

Die Außenposten um Yanoun wurden Ende der 90er Jahre gegründet und seither stetig ausgebaut. Von Beginn an kam es zu Übergriffen auf Yanoun und seine Einwohner, die 2002 ein solches Ausmaß erreichten, dass die Dorfgemeinschaft geschlossen floh[3]. Die internationale Bestürzung und der Ruf nach Solidarität führten zur Einrichtung einer schützenden Präsenz zunächst durch israelische Friedensaktivisten in dem kleinen Dorf und der Rückkehr der meisten Familien nach Yanoun. Seit 2003 sind Teilnehmende des Ökumenischen Begleitprogramms in Yanoun anwesend. Für die nächsten beiden Monate lebe auch ich hier in Upper Yanoun mit 6 Familien, die damals zurückgekehrt sind.

Auch wenn es in Yanoun seit 5 Jahren keine schwerwiegenden Übergriffe von Siedlern gab ist die Besatzung und die Präsenz der Siedler dennoch täglich zu spüren. Rashed erzählt uns am Feuer, dass er in den letzten Tagen beim Weidegang mit seinen Schafen und Ziegen mehrmals auf einen Siedler getroffen sei, der seine Schafe auf dem Land des Dorfes zum Weiden führte. Die Flächen, auf denen die Menschen aus Yanoun ihre Tiere grasen lassen können, sind durch den Ausbau der Außenposten schon extrem eingeschränkt. Daher ist es für Rashed ein sehr beunruhigendes Zeichen, wenn die Siedler nun noch weiter nach unten ins Tal auf die wenigen Wiesen kommen, die Yanoun geblieben sind.

Durch die illegalen Außenposten rund um Yanoun ist es den Dorfbewohnern außerdem nicht mehr erlaubt, bestimmte Straßen zu nutzen. So erzählt uns Rashed, dass jene Straßen, die an Siedlungen oder Außenposten vorbeiführen, von ihnen nicht mehr befahren werden dürfen.

Zusammen mit Rashed säen wir Weizen auf einem seiner Felder; ©EAPPI
Zusammen mit Rashed säen wir Weizen auf einem seiner Felder; ©EAPPI

Für Rashed bedeutet das ganz konkret einen 30-minütigen Umweg über Aqraba, wenn er zu einem seiner Felder fahren muss, das etwas abgelegen ist. Vor einer Woche haben wir Rashed bei seiner Feldarbeit begleitet und mit ihm Weizen für das nächste Jahr gesät. Dabei hat er uns erklärt, dass er in diesem Gebiet eigentlich zwei Felder besitzt, jedoch die Siedler vor einigen Wochen eines seiner beiden Felder bereits bepflanzt haben und ihm der Zugang nicht mehr möglich ist[4]. Auch wenn er für sein Land kämpft macht er sich keine großen Hoffnungen, dieses zurückzubekommen.

Auf dem Weg nach Lower Yanoun mit Blick auf Hill 777 mit zwei neuen Container an der Spitze; ©EAPPI
Auf dem Weg nach Lower Yanoun mit Blick auf Hill 777 mit zwei neuen Container an der Spitze; ©EAPPI

Auf dem Weg von Lower Yanoun nach Upper Yanoun hat man eine gute Sicht auf den sogenannten Hill 777. Dieser Außenposten wird nach wie vor von den Siedlern mit neuen Gebäuden erweitert. Seit etwa einem halben Jahr, so erzählt uns Rashed, sind zwei neue Container auf dem Berg zu erkennen. Es ist nur schwer zu begreifen, wieso die Siedler ihre illegalen Außenposten nach und nach erweitern können, und es gleichzeitig den alteingesessenen Bewohnern von Yanoun verboten ist, eine Veränderung an ihren Häusern vorzunehmen, geschweige denn etwas Neues zu bauen. Es sind nicht nur die Ängste ob der erlebten Übergriffe, die den Alltag der Menschen in Yanoun prägen, sondern auch die systematischen Auswirkungen der Besatzungspolitik wie Siedlungsbau und Landnahme, die dem Dorf nach und nach die Lebensgrundlagen entziehen.

Graffiti auf einer Mauer in Lower Yanoun; ©EAPPI
Graffiti auf einer Mauer in Lower Yanoun; ©EAPPI

„Der letzte Tag der Besatzung ist der erste Tag des Friedens“, so steht es an einer Mauer in Lower Yanoun. Auch wenn die Bewohner Yanouns uns hier mit großer Herzlichkeit willkommen heißen hoffen wir doch, dass unsere Präsenz eines Tages nicht mehr nötig sein wird.

Susanne, Dezember 2018

Ich nehme für das Berliner Missionswerk (BMW) am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des BMW oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] https://www.jpost.com/Jerusalem-Report/Israel/The-hills-are-alive

[2] https://www.timesofisrael.com/un-israel-outpost-law-crosses-thick-red-line/

[3] https://www.theguardian.com/world/2002/oct/27/israel

[4] http://www.eappi-netzwerk.de/das-ende-der-strasse/

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