Das Ende der Straße

Landkonfiszierung und Siedlungsbau rund um Yanoun

Auf den Hügeln oberhalb des Dorfes Yanoun ist einer der Außenposten der Siedlung Itamar zu erkennen; ©EAPPI
Auf den Hügeln oberhalb des Dorfes Yanoun ist einer der Außenposten der Siedlung Itamar zu erkennen; ©EAPPI

Hier in Yanoun zeigen sich die Auswirkungen der Besatzung und des Siedlungsbaus auf das Leben und den Alltag der Menschen besonders deutlich. Auf den ersten Blick wirkt Yanoun wie das Paradies auf Erden. Am meisten Lärm machen hier die Schafe, Hühner und der Esel, alles wirkt so friedlich und ruhig.

Gegenüber ein weiterer Außenposten; ©EAPPI
Gegenüber ein weiterer Außenposten; ©EAPPI

Lässt man den Blick rund um dieses zauberhafte kleine Dorf nach oben schweifen, erkennt man jedoch, dass das Leben in Yanoun alles andere als ruhig und einfach ist. Auf den Hügeln ringsherum befinden sich mehrere Außenposten der israelischen Siedlung Itamar. Die Siedlung selbst entstand 1984, ihre Außenposten Ende der 1990er Jahre. Siedlung und Außenposten werden seither kontinuierlich ausgebaut. Für Yanoun begann damals eine Zeit der Bedrohungen und Übergriffe durch die Siedler. Die andauernde Gewalt führte so weit, dass die gesamte Dorfgemeinschaft im Oktober 2002 flüchten musste[1] und nur mit Unterstützung von israelischen und internationalen Friedens-aktivist*innen wieder nach und nach zurückkehren konnte. Seit 2003 sind Teilnehmende des Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine und Israel dauerhaft im Dorf präsent.

Yanoun ist umgeben von Außenposten der weiter entfernt liegenden Siedlung Itamar; Karte © UNOCHA
Yanoun ist umgeben von Außenposten der weiter entfernt liegenden Siedlung Itamar; Karte © UNOCHA

Auch heute, 16 Jahre später, ist das Leben für die Yanounis alles andere als einfach. Die verschiedenen Außenposten rund um das Dorf breiten sich weiter aus. Hin und wieder kommt es noch zu Übergriffen durch die dort lebenden Siedler auf die Dorfbewohner*innen, wenn auch als Resultat der internationalen Präsenz deutlich seltener. Vor allem aber können die Menschen hier viele Teile ihres Land nicht einfach frei betreten, da sie die leidliche Erfahrungen gemacht haben, dann von Siedlern angegriffen zu werden. Das sprichwörtliche Ende der Straße bekommt hier seine ganz eigene Bedeutung – von fast allen Seiten ist das Gebiet, dass die Menschen hier frei und ohne Angst betreten können, begrenzt. Sogar den Hügel direkt oberhalb von Yanoun, auf dem zahlreiche Olivenbäume des Dorfes stehen, können die Menschen nur zweimal im Jahr zur Pflanz- und zur Erntezeit für wenige Tage betreten, nach vorheriger Koordination mit und ausschließlich während der Anwesenheit der israelischen Armee.

Ein Fall, der uns in der letzten Woche sehr beschäftigt hat, zeigt nochmals besonders deutlich, dass die Landkonfiszierung durch Siedler hier auch heute noch weitergeht. Rashed ist der Dorfvorsteher von Yanoun. Er hat kürzlich entdeckt, dass Siedler begonnen haben, ein großes Stück seines Landes zu bestellen. Laut Rashed wurde das Land bereits vor ca. vier Jahren von der israelischen Armee zu einem militärischen Übungsgelände erklärt. Seither, so berichtet er uns, durfte er die ca. 200 Dunum nicht mehr betreten, geschweige denn bearbeiten.

Nun haben jedoch Siedler damit begonnen, diese Fläche zu nutzen. Er bittet uns um unsere Begleitung, um einen näheren Blick auf sein Land werfen zu können. Gemeinsam fahren wir zu einem Hügel im nahen Dorf Khirbet Tana, von dem aus wir einen guten Blick auf Rasheds Land haben, und sehen deutlich, wie dort zwei große Felder und eine neue Zufahrtsstraße angelegt wurden.

Das Tor an der Zufahrtsstraße zu Rasheds Land; ©EAPPI
Das Tor an der Zufahrtsstraße zu Rasheds Land; ©EAPPI

Rashed nimmt Kontakt zu Rabbi Arik Asherman auf. Der frühere Direktor der Rabbis for Human Rights unterstützt ihn schon seit vielen Jahren. Am nächsten Morgen treffen wir uns mit Rabbi Asherman und einem Mitglied der israelisch-palästinensischen Gruppe Ta’ayush im Jordantal an der Zufahrtsstraße zu Rasheds Land. Wir entdecken, dass dort ein sogenanntes „Road Gate“ die Straße blockiert. Zwei Schäfer, die in der Nähe ihre Schafe weiden, berichten uns, dass ein Siedler sie kurz vor unserem Eintreffen beleidigt und verscheucht hat.

Der Konvoi von Fahrzeugen kommt aus der Richtung von Rasheds Land; ©EAPPI
Der Konvoi von Fahrzeugen kommt aus der Richtung von Rasheds Land; ©EAPPI

Während wir uns unterhalten braust der Siedler plötzlich auf einem Motorrad an und fährt, gefolgt von einem LKW voller Düngemittel, den Hügel zu Rasheds Land hinauf. Rabbi Asherman und der Vertreter von Ta‘ayush beschließen, dem Siedler zu folgen. Aus Angst vor den Siedlern möchte Rashed lieber nicht zu nahe heranfahren und bittet uns, mit ihm unten zu warten. Als die beiden 20 Minuten später zurückkommen, bestätigen sie Rasheds düstere Vermutung, dass die Siedler ihm ein riesiges Stück Land genommen haben. Gerade als Rashed am Telefon mit einem Anwalt spricht, sehen wir, wie sich von oben mehrere große Autos nähern. Wir fahren ein Stückchen weiter, von wo aus wir noch einen guten Blick haben, eine eventuelle Konfrontation mit den Siedlern aber vermeiden. Für einige Minuten halten die großen SUVs am Fuß des Hügels an, bevor sie dann auf der Hauptstraße in die entgegengesetzte Richtung davonfahren. Wir atmen erst einmal auf, aber es ist klar, dass der Alptraum für Rashed gerade erst begonnen hat: Auch wenn er mit Hilfe seiner israelischen Unterstützer und dem Anwalt für sein Land kämpfen wird macht er sich doch wenig Hoffnung, es wieder zurückzubekommen.

Der dunkle Boden auf Rasheds Land zeugt von der kürzlichen Bearbeitung; ©EAPPI
Der dunkle Boden auf Rasheds Land zeugt von der kürzlichen Bearbeitung; ©EAPPI

Dass Rasheds Fall kein Einzelfall ist, zeigen u.a. die Studien der israelischen NGO Kerem Navot (Nabots Weinberg), die sich mit den verschiedenen Mechanismen der Landenteignung in der Westbank beschäftigen. Zum einen wird nach Aussage von Kerem Navot Palästinenser*innen regelmäßig kein oder nur sehr limitierter Zugang zu ihrem Land gewährt, wenn sich dieses in der Nähe von Siedlungen befindet. Die Gebiete nahe den Siedlungen werden zu sogenannten Special Security Areas erklärt, die Palästinenser*innen nicht oder nur eingeschränkt und auch dann nur nach vorheriger Koordination mit der israelischen Armee betreten können[2]. Ländereien, die über drei Jahre nicht bearbeitet werden, können jedoch enteignet und zu „Staatsland“ erklärt werden. 99,76% der zur weiteren Nutzung verteilten Staatslandflächen in der Westbank gehen an Siedlungen[3].

Zum anderen wird immer wieder privates palästinensisches Land, das zu militärischen Sperrzonen erklärt wurde, von Siedlern für landwirtschaftliche Zwecke genutzt. Nach Recherchen von Kerem Navot fand in 78% der militärischen Sperrzonen kein militärisches Training statt. Im Jahr 2015 haben jedoch israelische Siedler bereits über 14.000 Dunum in diesen militärischen Sperrzonen für landwirtschaftliche Zwecke genutzt[4].

Nach internationalem Recht muss eine Besatzungsmacht Privateigentum der besetzten Bevölkerung schützen und kann dieses ausschließlich dann temporär konfiszieren, wenn es militärisch notwendig ist. Die Kultivierung von konfisziertem palästinensischem Privatland durch israelische Siedler stellt sicherlich keine militärische Notwendigkeit dar.

Mirjam, Oktober 2018

Ich nehme für pax christi – Deutsche Sektion am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von pax christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

[1] https://www.theguardian.com/world/2002/oct/27/israel

[2] Kerem Navot (2015): A locked garden. Declaration of closed areas in the Westbank. https://www.keremnavot.org/a-locked-garden, S. 55.

[3] http://peacenow.org.il/en/state-land-allocation-west-bank-israelis

[4] Kerem Navot (2015): A locked garden. Declaration of closed areas in the Westbank. https://www.keremnavot.org/a-locked-garden, S. 62 und 74.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner