„Darum stehe ich hier“

Das Plädoyer einer Tochter von Holocaustüberlebenden gegen die Gleichgültigkeit und für Solidarität mit den Palästinensern

Ob bei den „Women in Black“ oder bei den Protesten gegen die Zwangsräumung palästinensischer Familien in Sheikh Jarrah: Die israelische Künstlerin Rosemary Solan engagiert sich für ein Miteinander von Israelis und Palästinensern  – und ein zentrales Motiv dafür liegt in den Holocaust-Erfahrungen ihrer Familie.

Seit mehr als zehn Jahren jeden Freitag im palästinensischen Ostjerusalemer Stadtviertel Sheikh Jarrah: Israelis protestieren gegen die Besatzung und für die Zwei-Staaten-Lösung. Foto © EAPPI
Seit mehr als zehn Jahren jeden Freitag im palästinensischen Ostjerusalemer Stadtviertel Sheikh Jarrah: Israelis protestieren gegen die Besatzung und für die Zwei-Staaten-Lösung. Foto © EAPPI

Sie ist bekannt für ihre klare Linien, raffinierte Techniken und dynamischen Bildaufbau, und sie wählt dabei gern warme Grundfarben: Rosemary Solan ist Künstlerin, für ihre Kunstwerke verwendet sie die Enamel-Technik, bei der Glas, Metall und Farbpigmente kombiniert werden. In jüngster Zeit setzt sie indes auch oft Textildruck ein und arbeitet mit den Grundfarben weiß und schwarz, grün und rot, die sie teils auf türkisfarbenen, teils wiederum auf weißen Grund setzt.

Weiß, schwarz, grün und rot- Rosemary Solan in einem ihrer selbstgedruckten T-Shirts. Foto © EAPPI
Weiß, schwarz, grün und rot- Rosemary Solan in einem ihrer selbstgedruckten T-Shirts. Foto © EAPPI

Weiß und schwarz, grün und rot – das sind die Farben der palästinensischen Flagge, und Rosemary kombiniert sie auf den von ihr bedruckten T-Shirts mit dem Slogan „Free Palestine“. So tritt sie etwa bei den Protesten gegen die Ausbreitung israelischer Siedlungen in dem palästinensischen Jerusalemer Stadtviertel Sheikh Jarrah auf. Was andernorts ein Akt friedlichen Protest ist, kann dort zur Eskalation führen. Denn es ist ins Belieben der Polizisten gestellt, das Zeigen dieser Flagge als „Aufstachelung, Gewalt und Störung der öffentlichen Ordnung“ zu deuten. So hat es ein Polizeisprecher gegenüber der Zeitung „Haaretz“ erklärt[i]. Und so ist bei diesen Protesten, die seit mehr als zehn Jahren jeden Freitag in Sheikh Jarrah stattfinden, oft zu erleben, dass Polizisten einschreiten, wenn die Palästinenserflagge gezeigt wird, dass es zu Polizeigewalt, Verhaftungen, Beschlagnahmen kommt. Auch T-Shirts sind unlängst konfisziert worden.

Warum engagiert sich Rosemary trotz solcher Widerstände in Sheikh Jarrah und bei den „Women in Black“? „Es ist genau wegen dieser Zustände“, sagt die 72-Jährige, die nicht nur Mutter dreier Kinder und vieler Enkelkinder ist, sondern auch voller Sorge um die zivilen Standards in Israel  -angesichts der fortschreitenden Verdrängung und Diskriminierung ihrer palästinensischen Mitbürger. Der Einsatz für die Rechte anderer ist ihr auch ganz persönlich ein wichtiges Anliegen: „Was hier geschieht, läuft auf einen Abbau demokratischer Rechte hinaus, und dass so viele meiner Landsleute wegschauen, macht mich sehr betroffen, wegen unserer Geschichte im Allgemeinen und besonders wegen der Geschichte meiner Familie.“

Denn Rosemary, 1946 in Frankfurt geboren, ist ein Kind von Überlebenden des Holocaust. Ihre Mutter, die aus dem polnischen Radom stammt – der Heimat des jüdischen Antikriegsaktivisten Johann von Bloch, der 1899 die Haager Friedenskonferenz organisierte – hat das ganze Grauen deutscher Judenverfolgung erlebt: Majdanek, Birkenau und Auschwitz waren Stationen ihres Leidens. Bei den berüchtigten Todesmärschen, zu denen die Nazis die Gefangenen der Konzentrationslager gegen Ende des Krieges zwangen, konnte sie fliehen, mit ihrem polnisch-jüdischen Mann reiste sie 1947 nach Chile aus, wo Rosemary aufgewachsen ist. „Was meine Mutter, die schon mit 14 Jahren als Pianistin aufgetreten ist, zuallererst schockiert hat,  war nicht einmal, dass die Nazis ihr gleich das Klavier weggenommen haben, als die Wehrmacht 1939 in Polen einmarschierte – sondern dass ihre polnischen Freunde und Nachbarn nichts mehr von ihr wissen wollten. Daran sieht man: Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Leider nehme ich Gleichgültigkeit gegenüber dem palästinensischen Elend in der großen Mehrheit der Israelis wahr, und dagegen möchte ich angehen.“

Seit mehr als 30 Jahren jeden Freitag auf dem Pariser Platz – die „Women in Black“ in Jerusalem. Foto © EAPPI
Seit mehr als 30 Jahren jeden Freitag auf dem Pariser Platz – die „Women in Black“ in Jerusalem. Foto © EAPPI

Für die meisten Israelis, so sagt sie, ist die Lehre aus dem Holocaust, dass Sicherheit in Israel das Allerwichtigste ist, dass man nie Schwäche zulassen darf. Für Rosemary ist es etwas anderes: „Ich will das Ende der Besatzung, ich öffne meine Wohnung für jeden, der seine Bleibe verliert, ich stehe zuallererst wegen meiner Mutter bei ,Women in Black‘ und den Protesten in Sheikh Jarrah“, sagt sie „Denn ich will meinen palästinensischen Mitbürgern eine verantwortungsvolle Nachbarin sein – deswegen engagiere ich mich für ein Ende der Besatzung.“

 „Women in Black“

Die „Frauen in Schwarz“ sind eine NGO, die 1988 als Reaktion auf den Beginn der ersten Intifada, des ersten Aufstands der Palästinenster gegen die Besatzung  entstanden ist. Ihre zentrale Botschaft „Stop the Occupation“ verbinden die „Women in Black“ mit dem Bild einer Hand, die „Stop“ signalisiert. Zeitweilig bildete diese  Antibesatzungsbewegung 30 Mahnwachen quer durch Israel. Bis heute finden vier reguläre Mahnwachen jeden Freitag um 13 Uhr in Jerusalem, Tel Aviv, Gan Shmuel und Haifa statt.

Demonstrationen in Sheikh Jarrah

Vor zehn Jahren kam es nach der Zwangsräumung palästinensischer Familien aus ihren Häusern in dem Stadtviertel Sheikh Jarrah erstmals zu Demonstrationen, die seither dort jeden Freitag stattfinden. Die größtenteils israelischen Demonstranten treten mit Slogans wie „Sheihk Jarrah ist Palästina“ oder „Stoppt die Besatzung“ der Ausbreitung von Siedlungen in dem palästinensischen Ort nördlich der Jerusalemer Altstadt entgegen. Viele weitere Familien sind hier von Zwangsräumung und Vertreibung bedroht. Die israelische Rechtslage sieht es vor, dass Grundstück in Ost-Jerusalem, die vor 1948 in jüdischem Besitz waren, von ihren Eigentümern oder Interessenvertretern zurückgefordert werden können. Siedlerorganisationen wollen in Sheikh Jarrah 200 Wohneinheiten für  Siedler bauen. Die in Sheikh Jarrah nach 1949 von der jordanischen Verwaltung angesiedelten Flüchtlingsfamilien können indes ihr Eigentum in Westjerusalem oder dem übrigen Israel, welches sie 1948/1949 zurücklassen mussten, nicht zurückfordern.

Daniel, Oktober 2019

Ich nehme für Pax Christi am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die von Pax Christi oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.

 

[i] https://www.haaretz.com/israel-news/.premium-the-new-target-of-israeli-police-palestinian-flags-1.6096554

 

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