Besuch bei einer alten Dame

Clémence Handal ©EAPPI
Clémence Handal ©EAPPI

Clémence Handal ist 72 Jahre alt. Sie wohnt seit Jahren allein in der oberen Etage eines Mehrfamilienhauses. Die christliche Großfamilie Handal lebt in den drei Häusern, die unmittelbar an unser Apartment angrenzen. Sie hatten früher viel Land hier. Doch nur ein paar Kleingärten mit verschiedenen Obstbäumen sind geblieben, seit die Mauer in Bethlehem gebaut wurde.

Wir kannten Clémence Handal schon vom freitäglichen Rosenkranzgebet[1] an eben jener Mauer, die direkt neben ihrem Haus vorbeiführt. Die Gruppe der Betenden hält an der Vision fest, dass dieser Zustand der Trennung von Menschen durch Mauern nicht ewig anhalten wird. Clémence hat den Kernkreis mit Ordensleuten und Caritasschwestern aus der Umgebung mit gegründet – vor vielen Jahren.

Aus ihrem Wohnzimmer nun konnte ich vor lauter Mauer kaum mehr den Himmel sehen. Aber es ist ein gemütlicher Raum, in dem sie „empfängt“, so wie man sich das bei einer „alten Dame“ vorstellt. 3 Tassen Tee, wie immer schwarz, mit Minze-Blättern gewürzt. Sie erzählt viel aus ihrem Leben, und hat es sicher schon dutzende Male erzählt[2]. Gebürtig aus Jaffa, das damals noch zum britischen Mandatsgebiet Palästina gehörte, vertrieben während des israelischen Unabhängigkeitskriegs bzw. der palästinensischen „Nakba“ nach Jordanien und schließlich angekommen in Bethlehem, wo ihr seit Jahren die Mauer den Blick versperrt.

Der Großteil ihrer Familie lebt in nächster Nähe, aber sie erzählt uns besonders ausführlich von einer ihrer Töchter, die mit einer Jahresgenehmigung in Israel lebt, seitdem sie dort ihre große Liebe kennengelernt hatte. Für die „Liebe und Familie zwischen Israel und Palästina“ habe die Tochter viel durchleben und durchleiden müssen. Doch nun ist der Grenzübertritt für sie und auch manche aus der Familie möglich. Dazu reflektiert Clémence Handal ausführlich, wie Liebe über die Grenzen hin Veränderung bewirken kann. Ihre Fähigkeit, trotz aller Einschränkungen, Verluste und Beschwerlichkeiten ihren starken Glauben und die Hoffnung nicht zu verlieren, beeindruckt mich sehr.

Die „Handal-Häuser“ hier direkt an der Mauer, mit Blick auf den großen Checkpoint 300, werden manchmal zu großen Treffpunkten, so sagt sie. Wenn die ganze Familie zusammenkommt, um zu feiern, trotz der deprimierenden „Aussicht“. Es ist ihr Stolz und ihre Form des Widerstands, weiterzumachen, hier weiter zu leben und auch zu feiern, nicht aufzugeben, nicht wegzugehen.

Reinhard, September 2017

[1] http://www.eappi-netzwerk.de/mauergebete/

[2] Norwegian Church Aid hat im Rahmen eines Beitrags zur World Week for Peace in Palestine and Israel 2015 Clémence Handal interviewt: https://www.youtube.com/watch?time_continue=623&v=8nrFylFIb7Q

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