Beit Fajjar – Ein Dorf unter kollektiver Bestrafung

Verlassener Steinbruch in Beit Fajjar
Verlassener Steinbruch in Beit Fajjar

Wir verlassen Bethlehem Richtung Süden und kommen nach Beit Fajjar – ein Dorf, das in den B- und C-Gebieten des Westjordanlands liegt und somit der israelischen Militärverwaltung unter-liegt. Nach einer mehrtägigen Straßensperre ist ein Zugang heute wieder möglich. Ein Dorf „abgeriegelt“ – was bedeutet das? Während der Straßensperre kann die Studentin aus Beit Fajjar ihre Vorlesung an der Uni nicht besuchen. Den auswärtigen Kindern der Förderschule in Beit Fajjar wird eine Woche lang der Zugang zur Schule verwehrt. Die Geschäfte können nicht mit frischen Waren beliefert werden. Der Arbeiter aus dem Nachbardorf erreicht seinen Arbeitsplatz in der Steinfabrik nicht.

Am 17. März hatten zwei junge Männer aus Beit Fajjar eine israelische Soldatin bei einem Attentat in der Nähe von Nablus mit Messern angegriffen und verletzt. Die beiden wurden sofort erschossen (http://www.haaretz.com/israel-news/1.709527). Noch am selben Tag wurde das Dorf abgeriegelt, vier Tage später wurden die Steinbrüche geschlossen.

Beit Fajjar ist reich an Steinindustrie. Neben Hebron sind in der Region die größten Stein- und Marmorvorkommen in den besetzten Gebieten. Hinzu kommen viele Fabriken, die die Steine weiter verarbeiten. Von den 6000 Arbeitern in dieser Branche leben etwa 3000 in Beit Fajjar.
Doch heute ist es ruhig in den Steinbrüchen. Keine Transporter, Bagger oder gar Arbeiter sind zu sehen.

Military seizes equipment in Beit Fajjar (Foto EAPPI Tomlund)
Military seizes equipment in Beit Fajjar (Foto EAPPI Tomlund)

In der Gemeindeverwaltung treffen wir Ala Atweel, Besitzer eines Steinbruchs: „Bei mir haben sie einen Bagger, einen Bulldozer, einen Kompressor und eine Kiste mit Werkzeugen beschlagnahmt“, berichtet er dem Bürgermeister. Und es hat nicht nur ihn getroffen. Insgesamt sind in den Steinbrüchen von Beit Fajjar vor einigen Tagen Maschinen und Fahrzeuge im Wert von 1 Mio. Schekel konfisziert worden.

Die Konfiszierung der Arbeitsgeräte hat direkte und indirekte finanzielle Verluste zur Folge. Um die beschlagnahmten Geräte zurückzubekommen, müssen die palästinensischen Besitzer wiederholt Bußgelder zahlen und die Kosten für Transport und Lagerung aufbringen. Außerdem müssen sie einen Anwalt bezahlen, der sie zivilrechtlich vertritt.
„Das ist jetzt schon das dritte Mal“, sagt Atweel. „Zuletzt kamen sie vor acht Monaten. Wir mussten 100.000 Schekel zahlen, um unsere Fahrzeuge zurück zu bekommen.“

Nach Beobachtungen von B’Tselem (http://bit.ly/1T7hjM5) sind seit 2008 durchschnittlich zweimal pro Jahr Steinbrüche in Beit Fajjar geschlossen worden. Die Besitzer müssen in der Regel zwischen einem Monat und einem ganzen Jahr warten, bis sie ihre Ausrüstung zurückbekommen. Während dieser Zeit arbeiten die Steinbrüche teilweise deutlich unter ihren finanziellen Möglichkeiten.
Das israelische Militär begründet die Schließungen mit fehlenden Arbeitsgenehmigungen. Nach Aussage der Steinbruchbesitzer, die seit Generationen in den Steinbrüchen arbeiten, wurden in den vergangenen 20 Jahren alle palästinensischen Anträge für den Abbau in den C-Gebieten systematisch abgelehnt. In den benachbarten Siedlungsgebieten wurde die Steinindustrie dagegen durch Öffnung neuer Steinbrüche etabliert.

EAs m Gespräch mit Fares al Atrash (li.) und dem Besitzer einer Steinfabrik
EAs m Gespräch mit Fares al Atrash (li.) und dem Besitzer einer Steinfabrik

Durch die Stilllegung der Steinbrüche in Beit Fajjar ist auch die Arbeit von 140 Steinfabriken gefährdet. Ebenfalls betroffen von der Maßnahme sind lokale Steinmetze, Transportunternehmen und Wasserversorger. Wir hören, dass 5% des palästinensischen BIP in der Steinindustrie von Beit Fajjar erwirtschaftet werden. Fares Al-Atrash von der Gemeindeverwaltung erklärt uns: „Die Steinbrüche, die dieses Mal nicht betroffen waren, haben ihre Geräte in Sicherheit gebracht und lassen die Arbeit „ruhen“, aus Angst, dass auch ihre Maschinen eingezogen werden.“ Soweit das Auge reicht, sehen wir Steinbrüche, aber keine Arbeiter. Wir fahren weiter zu einer der vielen Steinfabriken.

Noch gibt es Material für diesen Arbeiter
Noch gibt es Material für diesen Arbeiter

Mohammad Yousef, Besitzer der Taqatqa Alawel-Firma, berichtet: „Wir haben noch Material für zwei Tage. Danach kann ich meine Arbeiter nach Hause schicken.“ Seine Firma produziert hauptsächlich für den Export in die Arabischen Emirate. „Für jeden Tag, den ich nicht liefere, muss ich eine Konzessionsstrafe zahlen. Und wenn ich nicht liefern kann, verliere ich schließlich meine Vertragspartner. Dann kann ich den Laden hier dicht machen.“

„Kollektive Bestrafung“ ist nach internationalem Recht verboten (Artikel 33 der 4. Genfer Konvention). Die Straßensperre von Beit Fajjar dauerte 12 Tage. Ob die Schließung der Steinbrüche ebenfalls als Reaktion auf das Attentat nahe Nablus zu werten ist bleibt unklar. Die in den Oslo-Verträgen als „temporär“ gedachte Übergabe der Planungshoheit für die C-Gebiete an die israelischen Behörden, die nun schon seit über 20 Jahren Bestand hat, wirkt sich in friedlichen Zeiten wie in Zeiten der Gewalt kollektiv auf die ansässigen Palästinenser*innen aus, ob in Form von Checkpoints, Hauszerstörungen oder der Verunmöglichung einer wirtschaftlichen Entwicklung. Das harte Vorgehen gegen die Steinbrüche in Beit Fajjar ist Teil einer israelischen Politik, palästinensische Aktivitäten auf wenige Gebiete in der Westbank zu konzentrieren. Die israelische Regierung nutzt seit Jahrzehnten die komplizierte Rechtslage in den C-Gebieten, um diese politisch und wirtschaftlich kontrollieren zu können und daraus eigene ökonomische Vorteile zu ziehen. Eine unabhängige wirtschaftliche Entwicklung in Palästina wird somit seit Jahrzehnten systematisch verhindert. Und dabei wäre diese doch ein solch wichtiger Bestandteil eines dauerhaften Friedens in der Region.

Elke, Mai 2016

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